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Haenel: Zur Psychologie einiger bog. okkulter Phänomene. 683
im Schlafe in Traumhalluzinationen umsetzen, setzt niemand
in Erstaunen. Dass ungewöhnlich lebhafte oder unter abweichenden
Verhältnissen entstandene Vorstellungen im
Wachen oder Halbwachen ebenfalls von Sinneserregungen
und Halluzinationen begleitet sein können, sehen wir an
Geisteskranken und Personen, die unter sogenannter posthypnotischer
Suggestion stehen. Wird nun also eine Vorstellung
auf dem angenommenen „telepathischen" Wege erweckt
, so ist es denkbar, dass diese ungewöhnliche Erregung
ebenfalls sinnlich bemerkbar wird. Die hundertfach berichteten
Erlebnisse, in denen jemand ein naher Angehöriger
plötzlich leibhaftig erscheint, von dem nachher bekannt
wird, dass er zur selben Stunde in Lebensgefahr gewesen
oder gestorben ist, brauchen nicht als Beweis für die
Existenz eines vom Körper verschiedenen Seelenwesens zu
gelten; man kann annehmen, dass die in einem Zustande
hochgradiger Erregung befindlichen Vorstellungen des vom
Tode Bedrohten auf telepathischem Wege direkt ein entferntes
Gehirn mit erregt haben, und dass bei dem letzteren
die so entstandenen Vorstellungen von halluzinatorischen
Vorgängen begleitet wurden oder sich in solche umsetzten.
Als ein Beispiel aus vielen sei eine Beobachtung erwähnt,
die sich bei Löwenfeld findet. Ein Bureaubeamter wird bei
seiner Arbeit plötzlich von roten Flecken im Gesichtsfelde
gestört, die wie Blutstropfen auf dem Papiere aussehen, sich
immer wiederholen und ihn höchlichst beunruhigen, so dass
er seine Arbeit liegen lässt und nach Hause eilt; dort
findet er seine Frau ermordet vor. Die Vorstellung, vielleicht
auch der Ruf der Frau: „ich blute, ich verblute
mich,tf hatte Wiederhall gefunden in dem Gehirn des
Mannes und dort sofort die Gesichtsvorstellung der roten
Blutstropfen erzeugt. —
Die Möglichkeit einer solchen Uebertragung von Wirkungen
in die Ferne ohne sichtbare vermittelnde Ueber-
träger ist uns verständlicher geworden seit der Entdeckung
der elektrischen Fernwirkungen, besonders der Funken-
telegraphie Marcom's. Bei dieser werden bekanntlich
elektrische Wellen bestimmter Art vom Punkte ihrer Erzeugung
aus nach allen Richtungen in den Raum hinausgesandt
, um an einem anderen Punkte, wo ein mit dem
aussendenden gleichgestimmter Empfangsapparat
sich befindet, durch Reagieren desselben wieder sichtbar
zu werden. Vom Wesen unserer Seelentätigkeit wissen
wir, wenn auch nicht sehr viel, doch das, dass sie mit
materiellen Veränderungen unserer Gehirnsubstanz einhergeht
, Veränderungen, die wahrscheinlich den Charakter
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