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688 Psychische Studien. XXXIII. Jahrg. IL Heft. (November 1906.)
„Doch geben wir zu, dass eine geistige Substanz durch
die Welt zerstreut sei, etwa wie das ätherische Feuer der
Stoiker und dass diese das Substrat sei, welches einzig den
Gedanken trage, so haben wir Grund, aus der Analogie zu
schliessen, dass die Natur davon in gleicher Weise Gebrauch
macht, wie von der anderen Substanz, der Materie. Sie
verwendet dieselbe als eine Art Teig oder Ton, bildet sie
in mannigfache Formen und Existenzen , löst nach einiger
Zeit jede Bildung auf und bildet den Stoff in eine neue
Form. Wie dieselbe materielle Substanz nach und nach
den Leib aller Tiere bilden kann, so kann dieselbe
geistige Substanz ihre Seelen bilden: ihr Selbstbewusst-
sein oder das System von Gedanken, welches sie während
des Lebens bildeten, mag jedesmal durch den
Tod aufgelöst werden, und nichts interessiert sie an der
neuen Gestaltung. Dieselben Männer, welche die Sterblichkeit
der Seele am entschiedensten behaupteten, haben
die Unsterblichkeit ihrer Substanz nie geleugnet; und dass
eine immaterielle Substanz so gut wie eine materielle ihr
Gedächtnis und ihr Selbstbewusstsein verlieren könne, wird
zum Teil in der Erfahrung gegeben. Nach einem Schluss
aus dem gemeinen Lauf der Dinge und ohne Annahme
einer neuen Einmischung der höchsten Ursache, welche in
der Philosophie niemals zugelassen werden sollte, ist dasjenige
, was unvergänglich ist, auch unentstehbar. Wenn
demnach die Seele unsterblich ist, so existierte sie auch vor der
Geburt; und wenn diese frühere Existenz uns nichts angeht
, so tut es auch die folgende nicht."
Man ersieht hieraus, dass unserem Hume die Idee der
Präexistenz, sowie die der Metempsychosis, d. h. Seelenwanderung
von einer Geburt zur anderen, vorschwebte. Der
Begriff der Metempsychose verhält sich aber zum Begriff
der Palingenie, wie die exoterische Anschauung zur esoterischen
Anschauung desselben Grundgedankens. Esoterisch
durchgedacht wird aus der Vorstellung der Seelen-
wanderung eine solche der Seelenwandlung,
d. h. einer Wandlung oder Metamorphose der seelischen
Individualität. Der Begriff der Seelen Wanderung lässt die
Möglichkeit zu, dass eine Seele, nachdem sie einen Menschenkörper
bewohnt hat, zur Abwechselung oder vielmehr zur
Strafe nun auch einen Tierkörper bewohnen kann oder muss.
Der Begriff der Seelen Wandlung oder der allmählichen
Wandlung, Entfaltung und Höherentwickelung der Seele
aber schliesst jene Möglichkeit vollständig aus. Die Seele,
die sich einmal soweit entwickelt hat, dass sie die Stufe der
menschlichen Individualität erreicht hat, kann dann nicht
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