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Kurze Notizen.
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Prinzessin Adalbert von Bayern, der Schwägerin des Prinz-
Regenten, geborenen Infantin von Spanien, hat, wie damals
die „Frankf. Ztg." erinnerte, Justinus Kerner und eine von
ihm ^beigestellte" Wahrsagerin eine gewisse Rolle gespielt.
König Ludwig I und sein Sohn Adalbert waren dem Dichter
nahe befreundet; eine Fülle von Briefen haben sie an
ihn gerichtet, und oft kehrten sie in seinem gastlichen
Hause ein, wo freilich der Prinz durch seine schrullenhaften
Einfälle und mystischen Forderungen dem alten Justinus
manchmal ziemlich lästig wurde. Wenn man in früheren
Jahren mit dem jetzt neunzigjährigen Theobald herner,
dem Sohne von Justinusf in der „Traube" in Weinsberg zu-
sammensass und er beim Glase Wein von vergangenen
Zeiten sprach, dann wusste er so manches zu sagen, was
er in seine Bücher nicht hat drucken lassen; „man hätt's
mir doch nicht geglaubt", pflegte er erläuternd hinzuzusetzen*
Gerade von dem Prinzen erzählte er vieles, was man in
keinen Büchern findet. Denn vor dem alten Justinus hatte
der Prinz keine Geheimnisse; ihm vertraute er alles an,
was sein Herz erfüllte, and aus den an ihn gerichteten
Briefen geht in gleicher Weise seine Neigung und sein
Vertrauen hervor. — Damals lebte in der Nähe von Weinsberg
eine alte Frau, die aus einem Glase frischen Wassers
die Zukunft tfnd allerhand geheimnisvolle und verborgene
Hinge herauslas. Von dieser „Wasserfrau" hatte Prinz Adalbert
gehört und wandte sich nun brieflich und persönlich an
Kerner, um durch seine Vermittlung mit der Frau in Berührung
zu treten und über die Fragen, die ihn am meisten
beschäftigten, die griechische Thronfolge und seine Vermählung
, befriedigenden Aufschluss zu erhalten. Die erstere
kommt hier nicht in Betracht; es sei nur erwähnt, dass bei
der Kinderlosigkeit des Königs Otto von Griechenland und
bei der Weigerung seines Bruders Luitpold, des jetzigen
Prinzregenten von Bayern, um einer Krone willen den
Glauben zu wechseln, Adalbert als griechischer Thronerbe
ernstlich ins Auge gefasst war und zu diesem Zwecke an
Kerner von König Maximilian IL die Bitte gerichtet wurde,
den Prinzen in diesem Sinne zu beeinflussen. Da Hess
Kerner die Wasserschauerin kommen, und als diese dem
Prinzen von einem grossen Schiffe sprach, auf dem er fahren
werde, uud von einem schönen Lande mit hellem Sonnenschein
und blauem Himmel, flüsterte ihm Kerner das Wort
„Griechenland" zu, worauf das aber die Frau nachdrücklich
bestritt und von einer vornehmen, schwarz verschleierten
Dame sprach, an deren Seite sie den Prinzen sehe. Nun
war Adalbert auf gutem Wege — für ihn war jetzt die
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