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696 Psychische Studien. XXXIII. Jahrg. 11. Heft. (November 1906.)
Richtung gegeben: er reiste nach Spanien. Von Darmstadt
aus schrieb er am 23. Februar an Kerner, dass er nach
Madrid reise, „um die Infantin, die einst die Seherin mir
bezeichnet, von Angesicht zu Angesicht zu sehen *u aber er
wollte, um seine Werbung desto zuversichtlicher anbringen zu
können, doch gerne durch die Seherin wissen, „ob er die
Infantin zur Frau bekomme." Kerner behelligte die kränkliche
Frau nicht mit Fragen. Unterdessen war Adalbert auch
schon in Madrid angekommen; er gefiel der Prinzessin,
sie ihm, und soweit wäre alles in Ordnung gewesen,
wenn der Prinz nicht gerne vor der Vermählung
Gewissheit gehabt hätte, ob ihm nicht durch diese Heirat
einst Spanien zufallen werde. Auch hier sollte die
Wasserschauerin wieder Aufschluss geben, aber Kerner
schrieb, dass die Frau krank und ihre Sehergabe dadurch
getrübt sei. Auch ohne die Aussicht auf das Erbe
Philipp'* II. heiratete dann der Prinz; aber die Seherin
hatte er nicht vergessen, und als einmal längere Zeit der
Briefwechsel zwischen der Prinzessin und ihren spanischen
Verwandten gestockt hatte, wandte er sich wiederum an
Kerner, damit er die Frau frage: „warum mitn mit uns
alle Veibindung von Seiten des Königs und der Königin
abgebrochen." Die Krankheit der Wasserschauerin, die
bald darauf starb, überhob den Dichter des lästigen Auftrages
, und von nun an bewegte sich das Verhältnis zwischen
ihm und dem Prinzen in ruhigeren, nüchterneren Bahnen
als bisher. Prinz Adalbert starb 1875.
(N. W. J. v. 2. IX. 05).
/) Seinen Austritt aus der Landeskirche
begründete der auch den Lesern der „Psych. Stud.a als Anhänger
Fechner's bekannte geistvolle und echte Freidenker
Wilhelm ßölsche jüngst in der nD. Kultur" mit folgenden bemerkenswerten
Worten: „Ich bin nach langem seelischen
Ringen aus der evangelischen Landeskirche ausgetreten,
nicht um mich damit vom Religiösen abzuwenden , sondern
ausgesprochen, um es mir zu retten. Die Kirche (ganz allgemein
jetzt gesprochen) hat meiner festen Ueberzeugung
nach in ihrer gegenwärtigen Form vollständig den Anschluss
verpasst an den echten grossen Strom religiösen Lebens
und Strebens, der durch unsere Zeit rauscht, wie durch
jede andere, der aber durch sie rauscht und rauschen muss
als ein Lebensquell und Herzblutquell unserer Zeit. Ich
richte hier nicht über geschichtliche Zusammenhänge. Ich
richte noch weniger über die Lauterkeit der persönlichen
Motive j aber ich stelle für mich ein einfaches Faktum fest.
Ich bin aus der Kirche ausgetreten, um im Christentum
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