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Maier: Das Medium Mr. Miller in Paris.
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des Hausherrn führende Türe abgeschlossen wurde. Jetzt
wurde das Licht ausgeblasen; Miller ging im Zimmer herum
und bat einige Personen, ihren Platz zu wechseln, wobei
er keinen Augenblick aus den Augen gelassen wurde.
Dann nahm er links vom Kabinett Platz; links von ihm
sassen Dr. Busart und der Hausherr, rechts zuerst Dr.
Moutin, nachher Mr. Letort Eine Mme. Risarella sang auf
Wunsch des Mediums ein Lied zur Gmitarre. Zuerst
zeigten sich nun unbestimmte weisse Streifen, wie Mondlichtreflexe
; das Medium wünschte etwas mehr Licht und fast
zugleich erschien zwischen den leicht geöffneten Vorhängen
des Kabinetts eine Gestalt, nach Wuchs und Aussehen wie
eine ziemlich grosse „erste Kommunikantin"; der untere
Teil ihres Gewandes schien im Kabinett geblieben zu sein.
Sie sagte'mit etwas verschleierter Stimme: ^Charlotte Chazarain
." — „Ihr Vater ist hier/4 bemerkte jemand. — „Ich
sehe ihn wohl," antwortete das Phantom und fügte hinzu:
„Papa, du siehst mich! Komm' und küsse mich!" Jetzt
erhob sich Dr. Chazarain, näherte sich dem Kabinett, ergriff
mit beiden Händen den Kopf des Phantoms und
küsste es auf die Stirne, während man das Medium, mit den
Händen auf den Knieen, ruhig dasitzen sah. Dr. Chazarain
ging mit den Worten: „Wie warm ihr Fleisch war!" an
seinen Platz zurück.*)
Nachher kam ein kleines Kind zwischen den, wie es
schien, mit seinem weissen Kleidchen unten an den Säumen
zusammengebeften Vorhängen ein wenig hervor, ging wie
ein Mäuschen wieder etwas zurück, dann wieder vor und
sagte mit einem schwachen Stimmchen: „Papa, Mama!u
und auf die Frage, wie es heisse: „Joseph." Bei diesem
Namen standen ein Herr und eine Dame ganz hinten im
*) In Nr. 237 des „Echo" vom 15. Nov. berichtigt Dr. Chazarain
obigen Protokolibericht dabin: er habe den Kopf des Phantoms
nicht unterscheiden können, auch nicht festhalten wollen, um es
auf die Stirne zu küssen — es war ja verboten, die Gestalten zu berühren
! —, vielmehr habe das Phantom selbst eine Wange, die warm
und lebendig zu sein schien, seinen Lippen genähert worauf er es
auf diese scheinbare Wange geküsst habe. — Der Herausgeber,
Gaston Mery erklärt ebendort u. a, kein nicht voreingenommener
Sitzungsteilnehmer habe den Eindruck gehabt mit Verstorbenen zu
verkehren, da die Erscheinungen „ etwas — zwar nicht Falsches, aber
doch Künstliches* an sieb hatten. — Der unbefangene Kritiker
muss sich da von neuem fragen: warum lehnt Miller, wenn er ein
gutes Gewissen hat, eine gründliche Prüfung durch eine (ihm wohlwollende
!) wissenschaftliche Kommission ab, warum fürchtet er
offenbar schon die Anwesenheit „gelehrter" Experimentatoren und
warum scheut er sogar, wie es scheint, die photographische Aufnahme
seiner Phantome? — Red.
Psychische Studien. Dezember 1906. 49
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