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Maier: Das Medium Mr. Miller in Paris. 755
aus dem Fussboden zu kommen schien), kündigte Betsy
wieder ihr Kommen an. Wenige Augenblicke nachher trat
eine etwas kleinere menschliche Gestalt, mit scheinbar von
innen heraus mildleuchtender, bezw. phosphoreszierender
Stirne und drapiert wie sonst, hinter den Vorhängen hervor
und stellte sich, nachdem man Kette gebildet hatte,
neben Mr. Letort und dann neben den Hausherrn etwa
5 Meter vor dem Kabinett in die Mitte des Salons. Betsy
streichelte das Gesicht des Dr. Du&art*, auf dessen Wunsch
gab sie mit ihren Fingerspitzen seinem Nachbarn, dem
Hausherrn, drei laute Streiche auf die Wange, wobei
letzterer deutlich das sich ihm zuneigende Gesicht, die
Züge, die glänzenden Augen, die hervorspringenden Backenknochen
und die lachenden Zähne einer Negerin unterschied
und ihren (NB.! nach Tabak riechenden) Atem
einsog. Da Miller Äarker Raucher ist, so sagte sich Gaston s
Mery sofort selbst, er habe also doch wohl das maskierte
Medium vor sich;91*) allein die Gestalt war bedeutend
kleiner, und woher sollte Miller die „Musselin- oder Kreppfluten
" genommen haben, die Betsy mit ihrer linken Hand
fortwährend hin- und herbewegte? —
Nach Schluss der Sitzung visitierte man nochmals das
Kabinett: alles, auch die Vorhänge, waren intakt und
die in das Nebenzimmer führende Türe, deren Schlüssel
Dr. Ch. A. Pechin zu sich gesteckt hatte, verschlossen. Miller
entkleidete sich wieder im Schlafzimmer. Die drei Aerzte
und der Hausherr sahen ihn wieder nackt und fanden
auch in den abgelegten Kleidern nichts Verdächtiges. Man
plauderte über die Manifestationen. Miller erklärte, so lange
er in Trance sei, empfinde er nichts, nur vorher, während
er sich noch ausserhalb des Kabinetts befinde, verspüre er
am ganzen Körper ein leichtes Prickeln wie von Baumwolle
(„c'est comme du coton qui me travaille"). Nachher träume
er schlafend von Landschaften, Feldern, Wiesen, ohne Beziehung
zu den sich zeigenden Phänomenen.
Abgesehen von einigen Erfrischungen und einem ihm
ins Hotel zugeschickten „kleinen Andenken41 nahm dieses
einzigartige Medium keinerlei Entschädigung für seine wirklich
grossartigen Leistungen an.---
*) Schon Dr. Paul Gibier beobachtete, dass in einzelnen Fällen
das Phantom einen dem Medium eigentümlichen Geruch an sich
trug. Vergl. den ausgezeichneten Vortrag von Oberst Joseph Peter:
„Das spiritistische Phantom" (Darlegung unseres Wissens über die
Matenalisationserscheinungen), abgedruckt im Novemberheft er. der
„Uebers. Welt", S. 413.
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