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756 Psyohisehe Studien. XXXIII. Jahrg. 12. Heft. (Dezember 1906)
So interessant und — für bereits überzeugte Spiritisten —
auch wertvoll diese Berichte sein mögen, müssen wir vom
Standpunkte einer besonnenen und unbefangenen Kritik doch
aut unserem schon oben präzisierten Urteil beharren, dass es,
wenn nicht geradezu unverzeihlich, so doch höchst beklagenswert
ist, dass während des ziemlich langer, Aufenthalts Miller* a in
Europa von seinen Beschützern nicht aufrichtigen Porschern,
deren Namen in der wissenschaftliche! Welt einen Klang
haben, die eifrig gesuchte und diesmal so nahe liegende
Gelegenheit geboten wurde, die von ihm produzierten Phänomene
zu sehen und methodisch zu prüfen. Wie gross
war früher immer das Gezeter der gutgläubigen Spiritisten,
dass die Exakten" a priori über Tatsachen aburteilten,
deren nähere Untersuchung sie ablehnten! Und jetzt lässt
man ein so phänomenales Medium wieder abreisen, ohne
ihm den unberechenbaren Schaden klar zu machen, der
durch ein solches Verhalten der Sache des ohnedem gefährdeten
Spiritismus in der öffentlichen Meinung zugefügt
werden muss!
Man kann es den Vertretern der Hochschulwissenschaft
schlechterdings nicht zumuten, auf die Berichte unbekannter
Augenzeugen oder spiritistischer „Autoritäten" hin, von
denen in der Gelehrten weit die einen als kritiklose Schwärmer
, die anderen als phantastische Fanatiker gelten, Vorgängen
Glauben zu schenken, die allem bisher angenommenen
„positiven" Wissen diametral zu widersprechen scheinen.
Was insbesondere die französischen „Hermetisten" und die
Offenbarungsspiritisten aus der Schule Allan Kardech
betrifft, so genügt für den akademisch geschulten Kenner
ein Blick in ihre Publikationen und die einschlägige Literatur
, um die Begründung ihrer an sich noch so erbaulichen
, geistreichen, schönen und erhabenen Ideen für
total verfehlt und unwissenschaftlich zu erklären, insofern
sie in unzweifelhaften Eingebungen und Aeusserungen des
latenten Unterbewusstseins ihrer Medien unfehlbar echte
und direkte „Offenbarungen** verstorbener Geistesgrössen —
nicht nur eines Abmlard, Fdnelon, Molihre, Lamennais, Robespierre
, Saint Juste, Cayliostro, Victor Hugo, sondern sogar
eines Pythagoras, eines Sokrates, einer Hypatia (die z. B. im
Jenseits ilnvn Namen beharrlich falsch mit th zu schreiben
scheint), ja eines Buddha, beider Johannes und eines Jesus —
erblicken, während der gründlicher orientierte Wissenschaftler
die Unmöglichkeit einer solchen Annahme nach
Sprache und Inhalt vielfach schon an den fehlerhaften Wortformen
(z. B. der Namen der angeblichen Orientalen) sofort
erkennt. Wer sich so arg täuschen lässt bezw. selbst täuscht,
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