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44 Psychische Studien. XXXV. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1908.)
„Ich sagte: „Die einzige Prüfung besteht darin, dass
man gar nicht hingeht, denn wer hingeht, den hat es schon
am Frack."a Mir will scheinen, dass hierin der Eigensinn
des alternden Gelehrten der voraussetzungslosen Wissenschaft
und Forschung ein Schnippchen schlug. Denn ich
glaube nicht, dass Fischer auf die Königsstrasse gelaufen
wäre, um die singende Kommode.zu erwarten. Ich kann
aber noch weniger glauben, dass er irgend einen begründeten
Zweifel an seiner wissenschaftlichen Ueberzeugung in
Aesthetieis ungeprüft verworfen oder verlacht hätte. Er,
der bis zu seinem Lebensende niemals müde wurde, eigene
Irrtümer offen und ehrlich einzugestehen und sich auch
darin als ganzer Mann erwies, war keiner von denen, die
sich vor Auseinandersetzungen fürchten, weil sie a priori
recht zu haben meinen.
Oder glaubte er tatsächlich, dass es ihn gleich „am
Frack hätte"? Fürchtete er, seine abgeschlossene, festgefügte
Weltanschauung könnte ein Loch bekommen, wenn
er einmal hinginge? Hm! doch recht sonderbar!
Ich bin der festen Ueberzeugung, dass Vischer über
einen Mann, der sich gegen alle Belehrung gesträubt hätte,
um irgend eine vorgefasste wissenschaftliche Theorie nicht
zu verlieren, seinen ehrlichen Spott getrieben hätte.
Er wäre der Ansicht gewesen, der Mann sei nicht reif, in
der Gelehrtenrepublik mitzureden. Ein Gelehrter, der seine
Anschauung nicht zu verfechten versteht und im Notfall
mutig und often seinen Irrtum einsieht und zugibt, wäre
nicht nach Friedrich Fischer1 % Geschmack gewesen.
Was aber in wissenschaftlichen Fragen sich von selbst
versteht, kann doch in Fragen des Lebens nicht anders
sein. Für Fischer war aber die Frage des Okkultismus
eine Frage des täglichen Lebens, etwas, das ausserhalb
seines Spezialgebietes lag, ihn wenig berührte; und er
hätte ruhig sagen können: „Ich habe anderes zu tun."
Statt dessen behauptet er: „Wer hingeht5 den hat es am
Frack."
„Oder auch nicht," hätte der gläubige Herr antworten
sollen. „Es ist ja gar wohl möglich, dass ich mich täusche
und Sie recht haben, Herr Professor! Sie haben vielleicht
aus dem reichen Schatze ihres Erlebens mehr gelernt als
ich, und wenn Sie unsere Ueberzeugung angreifen, so
müssen wir annehmen, dass Sie ihre triftigen Gründe dazu
haben. Damit, dass Sie uns Ihre gegenteilige Ansicht nicht
beweisen, sozusagen ad oculos demonstrieren, bekehren Sie
uns aber nicht. Der gesunde Menschenverstand verlangt
Gründe, Tatsachen, nicht wahr? Daraufgingen auch Sie als
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