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50 Psychische Studien. XXXV. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1908.)
2) Kann, wenn man die Realität der Phänomene für
erwiesen hält, die spiritistische Hypothese als Arbeitshypothese
(ipotesi di lavoro) aufgenommen und besprochen
werden oder ist sie als ausserhalb des Bereiches der wissenschaftlichen
Hypothesen liegend zu verwerfen?
Der Sen. Prof. L. Luciant Direktor des physiologischen
Institutes zu Rom, antwortet:
„1) Nicht nur infolge der letzten Veröffentlichungen in
Italien, sondern auch durch meine persönlichen Beobachtungen
und Erfahrungen bin ich zu der Ueberzeugung gelangt
, dass die sogenannten mediumistischen Phänomene
weder Betrug, noch Kollektivhalluzinationen zur Ursache
haben, sondern dass es nicht weniger reale Phänomene
sind, als irgend eine andere wissenschaftliche, uns durch
die Sinne vermittelte Tatsache. So seltsam, zusammenhangslos
, kleinlich sie vom Standpunkt der gewöhnlichen
Intelligenz aus erscheinen, sind sie doch von grosser psychologischer
und philosophischer Bedeutung, auch angenommen
(wie mir anzunehmen am Platze scheint) > dass wir noch
nicht in der Lage sind, zu entscheiden, ob sie ausschliesslich
vom Organismus des Mediums und der Experimentatoren
oder auch von fremden intelligenten Kräften abhängen
.
So sehr sie den bekannten Naturgesetzen widersprechen,
so halte ich doch die bestbeglaubigten Phänomene für nicht
erstaunenerregender und wunderbarer, als einige andere,
allgemein bekannte, spezifisch vitale Phänomene, als da
sind: die Fähigkeit lebender Wesen, sich zu reproduzieren,
sich wieder zu ergänzen, sich anzupassen, zu progredieren
und sich in neue Spezies zu transformieren usw. Die
mediumistischen Phänomene sind mechanischerweise nicht
unerklärlicher, als dieser Komplex von Befähigungen, durch
welche Lebendiges und Lebloses differenziert und worauf der
Neuvitaiismus und der moderne Animismus sich gründet.
2) Obgleich der absolute Beweis der Portdauer der
Seele nach dem Tode des Körpers und der Möglichkeit
eines Verkehrs zwischen Lebenden und Verstorbenen bis
jetzt durch die mediumistischen Phänomene nicht geliefert
ist, so rechtfertigen sie ohne Zweifel auch diese Annahme,
vorausgesetzt, wohl verstanden, dass man ihr den Charakter
einer blossen Arbeitshypothese beilegt."
Arturo Graf sagt:
„1) Die Tatsachen sind objektiv und unleugbar; die
Ursache ist problematisch; die Erklärung hypothetisch.
2) Sie kann zur Zeit weder angenommen, noch verworfen
werden. Sie bleibt möglich."
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