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08 Psychische Studien. XXXV. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1908.)
Literaturbericht.
Berichterstatter für sämtliche Literatur des In- sowie Auslandes ist Geh. llof-
rat Dr. Wernekke in Weimar, an welchen auch alle Rezensionsexemplare
einzusenden sind. Die Redaktion übernimmt keine Verantwortung für die
in den Besprechungen ausgesprochenen Ansichten.
A, BticherbesprechuiiÄen.
Die Bedeutung der Wissenschaft vom Uebersinnlichen für Bibel und
Christentum. Von Georg Sulzer, Kassationsgerichts-Präsident a. D.
in Zürich. Leipzig, Ö. Mutze. 1907. (354 S. gr. 8°.) Preis 5 M.,
geb. 6 M.
Das Buch, von der dem Verlage eigenen gefälligen Ausstattung
, empfiehlt sich einerseits durch gute Anordnung seines
Stoffes, wohl begründeten Gedankengang and schlichten, gemeinverständlichen
Ausdruck, andererseits durch den Umstand, dass es eine
Verteidigung des Christentums durch einen Nichttheologen ist. Der
Verfasser hat sich seinerzeit, während des Rotheprozesses, als überzeugter
Spiritist bekannt gemacht. Es ist nich^: anzunehmen, dass
er diese Ueberzeugung aufgegeben habe — die Ueberzeugung nämlich
„ von sinnlich wahrnehmbaren Kundgebungen jenseitiger
Geister*; jedoch begnügt er sich hier damit, für die Wissenschaft
vom Uebersinnlichen im allgemeinen Anerkennung zu fordern, für
die Ansicht insbesondere, „dass körperlose Geisfceswesen und zwar
hauptsächlich solche, die früher als Menschen auf dieser Erde gelebt
haben, bis hinauf zu Gott und zum Gottmenschen Jesus, der für
uns vollständig an die Stelle Gottes getreten ist,* okkulte Erscheinungen
hervorbringen und damit auch die okkulte Erscheinung
der Inspiration, in ihrer höchsten Steigerung als göttliche Inspiration
die Grundlage aller höheren Religionen, welche nur deshalb
nicht in eine einzige verschmolzen sind, weil sie mit Rücksicht auf
Zeit und Umstände ihrer Entstehung nur relative Wahrheiten darstellen
und einer Entwickelung unterworfen sind. Nach eiuer Betrachtung
über die göttliche Inspiration in den biblischen Schriften
wird „die Uebereinstimmung der Kernpunkte des Christentums mit
der Wissenschaft vom Uebersinnlichen und mit der nach den Resultaten
und guten Hypothesen dieser Wissenschaft beurteilten
Bibel" nachzuweisen versucht. Die historische Kritik der Bibel
wird dabei keineswegs abgewiesen. Da aber über ihre Ergebnisse
unter den Theologen durchaus keine Einigkeit herrscht, eine
Einigung auch kaum abzusehen ist, so darf man dem Verf. nicht
verwehren, aus diesen Ergebnissen eine Auswahl zu treffen und
die damit begründeten biblischen Berichte und Lehren nach
seiner Auffassung zu beleuchten und zu bekräftigen. Er gibt selbst
zu, dass diese Auffassung keines positiven Beweises fähig ist: „Die
Wissenschaft vom Uebersinnlichen kann nur die Hindernisse wegräumen
, die unser Verstand dem Glauben an die Wahrheiten des
Christenturas — dessen Kern in der unendlichen göttlichen Liebe
liegt — in den Weg legt/ Auf dem dadurch freier gewordenen
Weg ist eine Entwickelung des Christentums zu wünschen und zu
hoffen, und z *var könnten auf diesem Wege recht wohl die beiden
christlichen Kirchen neben einander gehen; denn beide sind entwicklungsfähig
: „Der Protestantismus vermöge seines Prinzips der
freien Forschung, der Katholizismus vermöge der grossen Macht und
Freiheit, in der sich seine höchste Autorität bewegt/ Wernekke.
Immanuel Kanfs Werke in acht Büchern. Ausgewählt und mit Einleitung
versehen von Dr. Hugo Renner. 2 Bände. Berlin, Druck
und Verlag von A. JVeichert (788 und 725 S. gr. 8*0.
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