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Literaturberieht.
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sondern der Gottmensch der Zukunft ist das Ideal meiner sehnsüchtigen
Träume . . . Die einzige wahre Keligion, die einzige
wahre Weisheit, das einzige Glück, das einzige Heil ist die Liebe
— die echte, wahre Liebe zum einzigen, ewigen All ... Eure
Wissenschaft sei nicht das Forschen und das Grübeln, sondern das
innere Schauen; eure Weisheit sei nicht das Verstehenwollen,
sondern das Mitfühlen und Mitleben! . . . Was an alter Wissenschaft
wertvoll, unsterblich, göttlich ist — ist Dichtung, das Wort
im tiefsten Sinn verstanden; alles andere ist nichtig, vergänglich
ist bloss Zahl, Name, Formel." — Auf diesen Grundgedanken baut
Verf., der mit seiner Seele voll heiligen Erbarmens nicht nur Edel-
mensch, sondern zugleich in Kunst, Literatur und Wissenschaft
aller Völker wohl bewandert und offenbar Meister in der praktischen
Kunst wahren Lebens ist, ein Weltgebäude von erhabener innerlicher
Grösse auf, das trotz seiner bescheidenen Form den kühnsten
philosophischen Systemen würdig zur Seite steht. Der Schriftleiter
der „Psych. Stud.* darf stolz darauf sein, dass Verf. in seiner Widmung
ihm als „würdigem Vertreter deutscher Wissenschaft" sein
Bestes, seine geistige Persönlichkeit zu verdanken erklärt, indem
„die seit vielen Jahren treu und fleissig gesäte Saat" nun auf
fremder Erde aufgegangen sei und reichlich sich entwickelt habe. Wir
empfehlen das herrliche Werk der Mußestunden des Verf. jedem
Wahrheitsfreunde, der sich einen ausgesuchten geistigen Genuss
verschaffen will. Fritz Freimor.
Gustav Müller, Nachtrag zu den „Kulturfundamenten41.
20 Beiträge. 170 S. Preis: 1.50, geb. 2.50; und: Mehr Geistesbildung
! 16 S. Kostenlos beziehbar vom Verlag Gustav Ferdinand
Malter, Berlin S. O. 26.
Letztere Flugschrift richtet unter dem Motto: „Nicht auf die
Fülle der Erkenntnis, auf den Harmonie- und Sittlichkeitsgehalt
einer solchen kommt es an" ein ernstes Mahnwort in ernster Zeit
an die Kulturträger unseres materialistischen, von moralischer Auflösung
und damit zugleich von vernichtenden politischen Katastrophen
bedrohten Janrhunderts. Von der Zweckmässigkeit alles
Seins und Geschehens aufs tiefste überzeugt, betrachtet Verf. das
Böse als „kulturtechnische Notwendigkeit*; denn „je tiefer und
schmerzhafter ein Empfindungszustand, desto höhere, edlere Gegenpole
löst er aus*. Allein sein Vergleich der von Menschen bewusst
gewollten Grausamkeiten und der sonstigen Leiden des Weltlebens
mit einem künstlichen Industriebetrieb, in welchem Metalle zu Gebrauchsgegenständen
mit rücksichtslosen Läuterungsfeuern, Walzwerken
, Hämmern, Drehbänken und anderen, den Fabrikaten schwer
zusetzenden Einrichtungen verarbeitet werden, hinkt denn doch bedenklich
, weil dabei der grundwesentliche Unterschied mechanischer .
und moralischer Vorgänge verkannt wird.*) Verf. freilich glaubt
jenes uralte Welträtsel von der Bedeutung des Bösen mit dieser
seiner Theorie des Leides nunmehr endgiltig gelöst zu haben, und
dem blossen Wortlaut nach könnte es ja scheinen, es sei ihm diese
schwierigste aller Aufgaben wirklich gelungen, denn „mit Worten
lässt sich trefflich streiten, mit Worten ein System bereiten*; aber
in Wirklichkeit fühlen sich die Dinge für den feiner empfindenden
*) Zu dieser mechanistischen Auffassung moralischer Probleme passt
die krass materialistische Definition Gottes (S. 52), wornach Gott die „in
höchste Harmonie- und Spannungszustände übergegangene Materie" sein soll,
die dann während seiner „göttlichen Thronfolger" im ewigen Kreislauf wieder
„Gegenpol' wird. —Red.
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