http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1908/0075
66 Psychische Studien. XXXV. Jahrg. 2. Heft. (Februar 1908.)
wird sie wieder die intellektuellen Phänomene nicht erklären
können. Man wird deshalb daran festhalten müssen, dass
niemals eine Hypothese gefunden werden wird, welche den
Schlüssel zu allen metapsychischen Phänomenen gibt. Der
Grund ist einfach: weil es fast sicher ist, dass die Phänomene
verschiedenen Ursprung haben. Nie haben die Astronomen
die Hypothesen von der Rotation oder der Revolution
der Erde abgelehnt, weil doch keine genügt, um sowohl
den Wechsel der Tage, wie auch die Folge der Jahreszeiten
zu erklären. Man hat im Gregenteil beide Hypo-
tbesen zugelassen, da sie sich ergänzen* So müssen wir es
auch mit Hinsicht auf die metapsychischen Phänomene
halten und die vergebliche Suche nach einer alle Erscheinungen
umfassenden Erklärung aufgeben.
Wenn es nahezu sicher ist, dass die Hypothesen,
welche zur Erklärung der metapsychischen Phänomene
dienen, mehrfach sind, so ist es nicht weniger wahr, dass
sie derart im Zusammenhange stehen, dass sie zusammen
eine grosse „hypothese synthetique" bilden. Myers hat
dieser „Synthese" grossartig Gestalt verliehen in seinem Werk
„Human Personality", dem Oliver Lodge prophezeit hat, das
Novum Organum in der psychologischen Wissenschaft der
Zukunft zu werden, sobald die Wirklichkeit der verschiedenen
Ordnungen der metapsychischen Phänomene, wie
Myers sie behauptet, erkannt sein wird.
Ist diese Wirklichkeit heute genau geprüft? Fast die
Gesamtheit der Gelehrten, welche diese Studien nicht vernachlässigen
, sind der Ansicht, dass dies nicht der Fall ist,
und dies ist auch meine bescheidene Meinung. Aber wenn
auch der Ozean der menschlichen Psyche noch nicht ganz
ergründet ist, man kann doch sagen, dass man begonnen
hat, die der Küste am nächsten liegenden Teile — es sind
ja die weniger tiefen — zu erforschen. Was haben die
Forscher gefunden? Sprechen wir zuerst von der Intelligenz
. Man hat die Existenz eines verborgenen Lagers der
menschlichen Intelligenz konstatiert und es das „ s u b 1 i -
minale Jßewusstseina genannt. Es ist nicht ganz
dasselbe, wie das Unterbewusstsein der offiziellen Psychologie
, da dieses nur normale Fähigkeiten besitzt, normal
im Sinne der Perzeption verstanden, wie sie die offizielle
Wissenschaft heute aufstellt.
Die Fähigkeiten, welche dem verborgenen Sitze unseres
Bewusstseins eigen sind, kommen gelegentlich — und dies
vor allem bei gewissen Individuen — auf eine rudimentäre,
vorübergehende und unvollständige Weise zum Vorschein.
Dieses subliminale ßewusstsein wird trefflich durch das
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1908/0075