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Wenzel-Ekkehard: Verkörperungen.
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lieh von der erleuchteten Zimmerwand ab. Zögernd und
unsicher nähert sich ein Frauenkopf dem Gesicht des alten
Herrn, greisenhaft zitternd. Er scheint sich zu diesem
herabzuneigen, ihn zu berühren und ihn zu küssen. Der
alte Herr ermuntert ihn dazu, er zieht sich zurück, kommt
wieder, scheint sich nicht heran zu wagen. Endlich aber
tritt der Kopf wieder energisch hervor und nähert sich
dem alten Herrn. In diesem Augenblicke bemächtigt sich
unserer aller eine tiefe Bewegung, und auch ich, obgleich
ich skeptisch und verstockt jedem Mystizismus gegenüber
bin, we?de von der tiefen Rührung, die alle ergriffen hat,
mit hingerissen."
Dieser Bericht ist ein schönes Beispiel für die stufenweise
Entwickelung der Phänomene bis zu einem gewissen
Grade. Die Phänomene sind, scheint es, in den Versuchen
zu vollkommenerer Gestaltung stecken geblieben.
L. Barzini beschreibt diese Art Verkörperungen deutlicher
in seinem Bericht über die im Auftrage des „Corriere
della Sera" in Genua im Hause des Malers Berizzo veranstalteten
Sitzungen. ,,Bei unbestimmtem Lichte, welches
(in der dritten Sitzung) durch die Fenster zwei grosse helle
Flecke auf beide Seiten des Kabinetts warf, sah ich zum
ersten Mal eines der merkwürdigsten Dinge, das den alten
Experimentatoren mit Eusdpia Paladino bekannt ist. Von
Zeit zu Zeit erschienen aus dem Kabinett langsam schwarze
unförmige Dinge, gingen auf den einen oder anderen der
Kontrollierenden zu und zogen sich zurück, ohne berührt
worden zu sein. Wenn nicht diese besonderen Lichtverhältnisse
gewesen wären, hätte niemand ihre Anwesenheit
bemerkt. Es handelt sich also um ein Phänomen, das
oft überhaupt nicht beobachtet worden ist. Von mir darauf
aufmerksam gemacht, bemerkten es auch Prof. Morselli
und Bozzano, die auf meiner Seite waren. Die anderen bemerkten
die Erscheinung nur, wenn sie sich neben Prof.
Morselli zeigte. Ich weiss nicht, wie ich die einzelnen Er-
scheinungen beschreiben soll. Man möchte sagen, dass es
manchmal kleine groteske Köpfe auf einem langen Halse
waren. Nach wiederholten Beobachtungen finde ich, dass
diese Erscheinungen etwa einer menschlichen Gestalt
ähneln, welche beide Hände in einen schwarzen Schleier
gehüllt hat. Aber der Hals dieser phantastisch Verhüllten
ist lang und dünn; die beiden Hände — wenn es überhaupt
Hände sind — scheinen einen einzigen Arm* zu
haben. Wenn ich mich richtig ausdrücken will, so möchte
ich sagen: die Erscheinungen benutzen nicht den Vorhang
als Umhüllung, sie kommen auch nicht aus dem leeren
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