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170 Psychische Studien. XXXV. Jahrg. 3. Heft. (März 1908.)
vergessene Dinge tauchen in diesem geheimnsvollen Spiel
der Träume auf, mit blitzartiger Behendigkeit verkoppelt
die von Banden der Reflexion befreite Phantasie die verschiedenartigsten
Dinge miteinander, und sie gleiten an der
schlummernden Urteilskraft vorüber als ein Seltsames,
Neues, Niegewesenes. Mit den endlosen Plattenreihen
eines Kinematographen mögen die im Unterbewusstsein
aufgestapelten Traummaterialien verglichen werden; jede
Platte enthält ein Erinnerungsblatt, Im Schlafe aber
werden diese Platten vertauscht, verwechselt, ihre Reihenfolge
durchbrochen, verändert; manche Platten schieben sich
übereinander und vermengen die widersinnigsten Dinge zu
einem wunderlichen Chaos, aber alle einzelnen Teile dieser
Welt entstammen unserem geistigen Vorrat von Bildern,
Stätten, Menschen und Erinneiungen und Wünschen. Und
es ist zweifellos, dass im Schlafe die Erinnerung spielend
Taten vollbringt, die sie im Wachen oft nicht mehr vermochte
. Alte Geschehnisse kehren wieder, die man selbst
nicht mehr wiedererkennt und zu denen manchmal erst eiu
einstiger Gefährte den Schlüssel, das fehlende Bindeglied
liefert. Selbst vom Abglanz des nächtlichen Spukes weiss
das erwachende Bewusstsein oft nicht mehr als einen Zipfel zu
erwischen, die meisten Träume sind mit dem Erwachen vergessen
. Andere aber graben sich tief in die Erinnerung,
ihr Eindruck ist so stark, dass sie die Grenze zum Bewusstsein
überschreiten und oft jahrelang nicht rrehr vergessen
werden. Vielerlei sipd die Traumerreger: äussere sinnliche
Reize, die durch Vermittlung der Sinne den schlafenden Geist
erreichen, die Punktionen der Organe im eigenen Körper,
Erregungen der Augen und Hörorgane, und auch rein psychische
Emotionen. Am bekanntesten sind die äusseren
Reize, die durch die Sinne automatisch dem Unterbewusstsein
zugeführt werden und dort sofort zu Vorstellungsreihen
verarbeitet werden. So kann eine heisse Wärmeflasche im
Bette sich im Traume zu einer Reise zum Aetnakrater verwandeln
, ein nächtlicher Giehtaufall erweckt Vorstellungen
von mittelalterlichen Folter- und Jnquisitionsszenen, der
Schein eines rötlich gedämpften Lichtes erzeugt Träume von
Sturm und heissem Wetter. Prof. Peterson berichtet, wie
ein bitterer Geschmack im Munde einen Traum auslöste, in
dem der Schlafende einen Trunk aus einem Spiritusgefäss
nahm, in dem präparierte Tiere bewahrt worden waren;
bei einem anderen wandelte sich Pferdegetrappel um in einen
Traum von einem Bankett fürchterlicher Riesen, deren Kinnbacken
beim Essen ein furchtbares Klappern hervorbrachten.
Die Träume stehen mit Krankheit in naher Beziehung, so
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