http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1908/0183
172 Psychische Studien. XXXV. Jahrg. 3. Heft. (März 1908.)
Geister im Hanse eines Staatsanwälte.
Im Hause des Staatsanwaltes von Ancona. namens Mar-
raano, haben sich, wie dem „Neuen Wiener Journal" vom
12. Jan. 1908 ein Korrespondent aus Rom im Januar
schreibt, absonderliche spiritistische Erscheinungen zugetragen
. Die Bevölkerung der ganzen Umgebung ist in grosse
Aufregung versetzt. Die Phänomene zeigen sich am hellichten
Tage vor durchaus vertrauenswürdigen Zeugen. Es
sind dies die beiden Söhne des Staatsanwaltes, zwei hochintelligente
junge Männer, von denen der eine die Universität
besucht, während der andere schon den Doktorgrad
in der Rechtswissenschaft erworben hat. Die beiden Söhne
erzählen nun die folgenden Begebenheiten vollkommen gleichlautend
.
„Wir hörten schon in mehreren Nächten nacheinander
aus den unbewohnten Zimmern unserer Wohnung verschiedene
Geräusche, als ob jemand an die Wände schlüge
oder als ob die Möbel von der Stelle gerückt würden. Wir
gingen dem Geräusch nach, aber wir fanden niemanden
und kein Möbelstück hatte seine gewöhnliche Lage verändert
. Gleichzeitig begannen alle elektrischen Klingeln des
Hauses zu läuten, aber jede in einem anderen Ton. Wir
untersuchten die Batterien, es war jedoch nirgends ein
Fehler in den Elementen oder in der Leitung zu entdecken.
Von Zeit zu Zeit hörte das Klingeln von selbst auf, um
immer wieder von neuem zu beginnen, so dass uns nichts
anderes übrig blieb, um das schreckliche Geräusch zu verhindern
, als die Drähte durchzuschneiden.
Nachdem das Läutewerk zur Ruhe gebracht war, begann
plötzlich aus den Wänden in allen Zimmern Wasser
in Strahlen zu spritzen, so dass alsbald der Eussboden
durchnasst und überschwemmt war. Wir Hessen mehrere
Baumeister kommen, und diese untersuchten die Wände
auf das genaueste, ohne jedoch die geheimnisvollen Wasserquellen
entdecken zu können. Diese Wasserstrahlen, die
einfach aus den Wänden hervorkamen und die auch von
vielen anderen Personen gesehen wurden, suchten sich
späterhin die sonderbarsten Reservoire. So fanden wir eines
Tages unsere Hüte vollkommen durchnässt; ein andermal
wieder kamen sie aus den Betten und wir mussten uns,
um uns nicht zu erkälten, mit wasserdichten Decken zudecken
.
Das nächste Phänomen war womöglich noch erstaunlicher
. Wir sassen im Speiseraum in der Nähe eines Sofas,
als plötzlich von der glatten Wand eine Tasse Milch herab-
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1908/0183