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204 Psychische Studien. XXXV. Jahrg. 4. Heft. (April 1908.)
nichts Positives und ich möchte sie lediglich als Material
in den „Psych. Studien" deponieren, damit vielleicht einem
andern einmal Gelegenheit geboteu ist, etwas damit anzufangen
. Es handelt sich um die Darstellung eines Traumes,
der tatsächlich in Erfüllung gegangen ist und der das Wertvolle
für sich voraus hat, dass er mit absoluter Sicherheit
beglaubigt ist.
Es war um die Mitte des Dezember im vorigen Jahr,
als es mir in einer mondhellen Nacht das Folgende mit
grosser Deutlichkeit träumte: Ich ging im schwarzen Anzug
durch eine Gruppe schwarzgekleideter Leute, die sich
zu einem Leichenbegängnis versammelt hatten. Während
ich durch die Gruppe hindurchschritt, hörte ich jemand
sagen: „Was tut denn der da?" Worauf ein anderer die
Antwort gab: „Da muss doch der dabei sein, das Leichenbegängnis
gilt ja dem Gemeioderat Köster."*) Ich ging
dann weiter und sah ein Gräberfeld mit einem offenen
Grab, in das ich hinabblickte. Seitlich rieselte etwas Erde
ab; ein Sarg war nicht darin. Die Vegetation war noch
wie im Winter, doch lag kein Schnee und auch der Boden
war nicht gefroren* Alsdann erwachte ich und reproduzierte
mir den ganzen Traumvorgang, der einen ausserordentlich
starken Eindruck auf mich gemacht hatte,
noch einmal. Den ganzen folgenden Tag stand ich ebenfalls
noch so stark unter dem Eindruck des Traumes, dass
ich mich gedrungen sah, ihn am Abend einem befreundeten
Arzte zu erzählen. Dieser fragte mich, ob denn Köster
leidend und der Traum vielleicht die .Folge einer an die
Vorstellung einer Krankheit anknüpfenden Ideenassoziation
sei? Ich verneinte und bemerkte, dass Köster meines
Wissens überhaupt noch nicht krank gewesen und mir stets
als das Bild der Gesundheit erschienen sei. Indessen, die
Erzählung des Traumes befreite mich von dem Druck des
Traumes nicht und ich musste Köster, wo ich ihn sah, drum
ansehen. Auch mit dem vorhin erwähnten Freunde sprach
ich noch mehrfach darüber. Am 12. Januar wurde ein
Mitglied des Gemeinderats beerdigt und der ganze Gemeinderat
sammelte sich vor Abgang des Trauerzugs auf
dem Rathaus. Als wir den Sitzungssaal verliessen, fielen
einige Bemerkungen über's Sterben und Köster machte einen
harmlosen Witz darüber. Das Joste mir die Zunge, dass
*) Köster war ein angesehener sozialdemokratischer Führer und
von seiner Partei in den Göppingjer Gemeinderat gewählt worden,
dem auch der Verfasser dieser Mitteilung angehört. Er erreichte
ein Alter von 45 Jahren und war nie krank. Von seinem Bruchleiden
hatte ich keine Ahnung. Der Verf.
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