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Literaturbericht. 241
und Italien nicht abhalten lassen, sich durch den Wall von Trug,
Phantasterei und dünkelhafter Borniertheit hindurch zu arbeiten,
um dem Tatsächlichen auf diesem Gebiete näher zu kommen. Zu
ihnen gehört Flammarion, Seit mehr als vierzig Jahren beschäftigt
er sich mit den okkulten Tatsachen und hat nicht nur die ganze
spiritistische Literatur aller Kulturvölker mit Aufmerksamkeit und
Treue verfolgt, sondern selbst fast alle bedeutenden Medien teils
allein, teils in Gesellschaft anderer Forscher sorgfältig beobachtet
und untersucht. (Die zu Anfang der achtziger Jahre im Mülsener
Grunde in Sachsen auftretenden ganz ausserordentlichen Medien
sind ihm freilich unbekannt geblieben.) Die Ergebnisse seiner mühevollen
Forschungen sind in dem vorliegenden Buche zusammen-
gefasst. Dieses Werk ist epochemachend. „Hat dem gebildeten
Europa das so wenig zu sagen, wenn festgestellt werden kann, dass
um uns herum unbekannte Kräfte wirken? Hat das Studium
unserer eigenen menschlichen Natur so wenig Bedeutung?* —
Flammarion behandelt zunächst seine Experimente mit der merkwürdigen
Ensapia Paladino, Experimente, denen eine stattliche Eeihe
der bekanntesten Pariser Grössen der Literatur und Wissenschaft
beigewohnt hat, z. B. Criattes Eichet, A. de Rochas, Victorien Sardou,
Jules Claretin, Adolf Brisson, Gustave le Bon, G. de Fontenay usw.,
dann die von Graf A. de Gasparin 1853 in Valleyres (Schweiz) und
die von Prof. Thury 1855 in Genf angestellten, endlicn die Forschungen
Schiaparelli's, Lombroso's, der „Dialectical Society" und besonders
des berühmten englischen Chemikers Crookes. In dem
höchst verdienstvollen Kapitel über Betrug, Schliche, Hinterlist,
Schurkereien, Taschenspielerkünste, Mystifikationen und Schwierigkeiten
findet sich folgende wichtige Bemerkung : „Alle Physiologen
wissen, dass den hysterischen Personen eine Neigung zur Lüge und
zum Betrug anhaftet. Sie lügen anscheinend ohne Grund , nur zu
ihrem Vergnügen/ Zusammenfassend gibt dann der Verfasser
mehrere Theorien und Erklärungsversuche wissenschaftlich experimentierender
Forscher, die unsere Aufmerksamkeit verdienen.
Graf Gasparin nimmt ein Fluidum an, das unter dem Einfluss
unseres Willens von uns ausströmt; Thury nennt dieses Fluidum
Psychode, eine Substanz, die die Seele mit dem Körper verbinden
soll; Crookes spricht von einer psychischen Kraft, fügt aber hinzu,
dass diese Gewalt in gewissen Fällen von irgend einem anderen
geistigen Wesen erfasst und geleitet werden könnte; Albert de Rochas
betrachtet diese Erscheinungen als Ergebnisse des fluidischen
Doppelkörpers, des Astralkörpers; Lombroso behauptet, dass die Erklärung
einfach im Nervensystem des Mediums zu suchen sei und
dass es sich um eine Umwandlung von Kräften handle; der Astronom
Pörro schreibt die Einwirkung unbekannter .Geister* weniger
den Seelen Abgeschiedener, sondern den theosophisch zu erklärenden
„psychischen Wesenheiten* zu; Charles Bichel will noch kein
endgültiges Urteil abgeben; Wallace, Morgan und Varley huldigen
der spiritistischen Geistertheorie; Grasset hat die Bezeichnung „Physiopathologie
" der Nervenzentren; Maxwell leitet die sich offenbarende
Intelligenz von den Experimentatoren ab, und Mangin führt eine
Erklärung durch das „ Unterbewusstseintt des Mediums ein. —
Flammarion stellt folgende Grundgedanken auf: das menschliche
Wesen hat in sich eine üuidische und psychische Kraft, die als
Ausdruck unserer Wünsche und unseres Willens bei vielen okkultistischen
Erscheinungen zu gelten geeignet ist; indessen kommt
bei besonderen Fällen noch das ünbewusste, Unvorhergesehene
u. dergl. hinzu; das alles aber sind Manifestationen des Universal-
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