Freiburger historische Bestände - digital

264 Psychische Studien. XXXV. Jahrg. 5. Heft. (Mai 1908.)

So führen uns schliesslich auch die Materialisationserscheinungen
zur Anerkennung der Möglichkeit einer
aussermenschlichen Ursache, die sie zu stände bringt. Mag
auch die Personenverdopplung des Mediums hinreichend sein,
um einen Teil der Erscheinungen zu erklären, so befestigen
doch die äusserliche Aehnlichkeit der materialisierten Gestalten
mit Ueberlebenden in Verbindung mit unleugbaren
intellektuellen Identitätsbeweisen in uns die Ueberzeugung,
dass auch spontane Totenerscheinungen wirklich das sind,
wem sie gleichen, nämlich Erscheinungen von Toten. In
den Materialisationen haben wir also den Beweis zu sehen
dafür, dass objektiv wahrnehmbare Selbstprojektionen für
ihr Entstehen den materiellen Körper derjenigen nicht brauchen
, von denen sie ausgehen. Dieser Körper mag in
seine Atome zerfallen, deswegen behält die Seele doch nicht
bloss ihr denkendes, sondern auch ihr organisierendes
Vermögen. Unter welchen Bedingungen diese Fähigkeiten
zur Aeusserung kommen können, liegt noch im Dunkeln. Bei
spiritistischen Sitzungen bemüht man sich, sich so gut wie
möglich in Umstände zu versetzen, die zufolge der Erfahrung
am meisten Aussicht bieten, diese Erscheinungen auftreten
zu sehen; allein es zeigt sich, dass sie einer bisher
unberechenbaren Ebbe und Flut unterworfen sind. Nichtsdestoweniger
unterliegt es keinem Zweifel, dass wir einmal
jene Gesetze werden kennen lernen, welche auch diese Erscheinungen
beherrschen. Es ist dazu eine genaue Untersuchung
nötig. Allein auf diesem Gebiete werden uns keine
„Sitzungen auf gut Glück" weiter bringen. Wie bei allen
Zweigen der Wissenschaft gilt es auch hier, sich auf die Schultern
anderer zu stellen, um weiter sehen zu können. Gehörige
Vorbereitung und sorgfältiges Studium der von anderen erhaltenen
Eesultate sind dabei die ersten Bedingungen.
Erst dann darf man an eine experimentelle Forschung
denken, für welche Stainton Moses, der als Medium eine
reiche Erfahrung hatte, folgende Regeln gab:

„Wenn du dich überzeugen willst, ob der Spiritismus
bloss Täuschung und Betrug ist, so stelle eine persönliche
Untersuchung an. Wenn du von einem erfahrenen Spiritisten
eingeführt werden kannst, auf dessen Glaubwürdigkeit
du dich verlassen kannst, so ziehe ihn zu Rat und
bitte ihn um die Erlaubnis, mehr intimen Sitzungen beiwohnen
zu dürfen, um zu sehen, wie man Sitzungen leitet
und was zu erwarten ist. Geht das aber nicht an, so musst
du dich auf Erfahrungen in deinem eigenen Familienkreise
oder unter deinen Freunden stützen, wo alle Fremden ausgeschlossen
sind.