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290 Psychische Studien. XXXV. Jahrg. 5. Heft. (Mai 1908.)
Hinneigung zur Mystik in seiner Weltanschauung beständig
und noch in seiner späten Zeit sich bewahrt habe, Heime
erklärt, dass er den Ansichten, die P. von Lind in seiner
Schrift gegen du Prel's Einleitung vertritt, „nicht überall
zustimme". Ihn bedünkt es nicht verwunderlich, dass
Kant von Mystikern als zu ihnen gehörig in Anspruch
genommen worden ist, wennschon #die Berufung des
neueren Spiritismus auf Kant als durchaus unberechtigt
zurückgewiesen werden müsse. Neuerer Spiritismus?!
Das ist ein rechtes Sündenwort, zumal für Tausende,
denen es wenig mehr als ein Wort ohne Begriff des
eigentlichen Wesens mit dem Wurzelgrunde seines Woher
und Wohin ist. Ja, Tische gerückt, nach Klopftönen al-
phabetiert, Transscendentalgebilde oder materialisierte Phantome
photographiert hat der Weise von Königsberg freilich
nicht, obgleich alles das ernste Männer der Wissenschaft
heute nicht mehr verschmähen. Heinze hat gründlichst
Recht zu sagen, dass Kant fern davon war, das zu sein,
was man jetzt einen Spiritisten nennt; doch nicht
minder Recht hatte du Prel, in vielen Ansätzen der Kanfsehen
Weltanschauung Vorbildungen dessen zu erblicken, was wir
in Deutschland im wissenschaftlichen Sinne „Okkultismus
a benennen mit Einschiuss der Teilbegriffe einer
-supranormalen Psychologie* (von Eichet
jMetWhik« getauft), „iLlieh des* , A n i\u i . m u s «
und auch des „Spiritismus", wie anderseits der
„magischen Physik", welche letzte, den ganzen
ersten Band von du PreVs Magie als Naturwissenschaft^
(Jena, Costenoble 1899) füllend, schon allein das Unstatthafte
des generellen Namens „Metapsychik" *) erhärtet.
Wenn Kant heute lebte und die Errungenschaften der
Aksakow, Croofces, Myers, Richet, Lodge kennen würde, ob er
dann seinen mannigfachen mystischen Hypothesen über „das
Intelligible" und die Unsterblichkeit eine Krönung durch
den sogenannten „ Spiritismusu zu geben sich enthalten
würde? Ist es wohlfeil, das unter Aufrufung des einst
an die Kenntnisse seiner Zeit gewiesenen Kant rasch zu verneinen
, so erscheint es umgekehrt nicht bloss als ein billiges Gerede
, wenn wir den fest auf ein hohes Jnnenbewusstsein ge-
*) Die Richtigkeit dieses Namens würde übrigens gewiss nicht
seine zeitweilige oder dauernde Ausbreitung beweisen. Nachdem
ich seine Schiefheiten dartat, deren ich noch mehr aufzählen könnte,
ist mir weit wichtiger als der äussere Gebrauch des Namens die
rechte innerliche Einsicht in die Abgrenzung und die Aufgaben
unseres Forschungsgebietes und die Erkenntnis seines ewig trans-
scendentalen Kernes. B.
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