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ßormann: Steuer der Wahrheit zu Kant's „Vorlesungen11 etc. 291
stellten und dabei der Erfahrung Rechnung tragenden
Geist Kanfs nicht unwiderruflich halt machen lassen möchten
bei jenem Standpunkte, den ihm sein Zeitwissen vor-
schrieb, obschon er im Hinblick auf das vollkommen
Transscendente, wie es die Beweisbarkeit von Gott, Seele
und Unsterblichkeit ist, mit einer für alle Zeit geltenden
Denknotwendigkeit dem Menschenverstände
Wissensentsagung auferlegte. Denn wie überhaupt ist ein
Halt möglich in der Bestätigung derjenigen okkulten Erscheinungen
, die, Ring um Ring in geschlossener Kette,
von der Telepathie beginnend erst die Bewegung unberührter
Dinge, dann an flüchtigen, doch oft sogar greifbaren
Phantomen uebersinnliches den Sinnen annähert unter erstaunlicher
Ueberwindung der Gesetze von Zeit und Raum?
Wer ein Glied dieser Kette fest ergreift, hält unversehens
in seiner Hand die ganze Kette. Auch jene Wirkungen
„intelligibler" Art von Geist zu Geist, wie fcanfs Hypothese
sie zuliess, bleiben nimmermehr rein geistig mit Elimination
der Materie; denn auch sie verlangen ihren Eintritt in das
Gehirn, durch das sie bewusst werden. Schopenhauer, der
ebenso wie Kant zuvörderst seinen Okkultismus auf das
innerliche, rein geistige Leben eingrenzte, hat nicht umhin
gekonnt, die Einflüsse unseres Willens sogar auf das Leblose
(„Willen in der Natur**) zuzugeben, und die Kanf sehe
Philosophie ist es, die er anruft, um die aprioristische Verwerfung
des Okkultismus zu entkräften: „Wenn unsere
natürliche Erkenntnisweise eine solche wäre, welche uns
die Dinge an sich und folglich auch die absolut wahren
Verhältnisse und Beziehungen der Dinge unmittelbar überlieferte
, dann wären wir allerdings berechtigt, alles Vorherwissen
des Künftigen, alle Erscheinungen Abwesender oder
Sterbender oder gar Gestorbener und alle magische Ein-
Wirkung a priori und folglich unbedingt zu verwerfen.
Wenn aber, wie Kant lehrt, was wir erkennen, blosse Erscheinungen
sind, deren Formen und Gesetze sich nicht auf die
die Dinge an sich selbst erstrecken, so ist eine solche Verwerfung
offenbar voreilig, da sie sich auf Gesetze stützt, deren
Apriorität sie gerade auf Erscheinungen beschränkt
, hingegen die Dinge an sich, zu denen
auch unser eigenes Selbst gehören muss, von ihnen unberührt
lässt." („Willen in der Natur.a) An der Richtigkeit
dieser Sätze Schopenhauer'$ ändert sich nichts
dadurch, dass die okkulten Vorfälle auch wiederum Erscheinungen
sind, ob auch noch so ausnahmsweiser und
fluchtig verschwebender Art, mit all ihren Enthüllungen
und Offenbarungen in unauflösbarem Zusammenspiele mit un-
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