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294 Psychische Studien. XXXV. Jahrg. 5. Heft. (Mai 1908.)
Vorgange anderer sich an die Unterschrift einer Jahreszahl
hielt, die aber nicht das Jahr, in dem dieVorlesungen von Kant
gesprochen waren, sondern das der genommenen Abschrift bezeichnete
, so ist das sehr verzeihlich und fällt auch für die
Sache kaum ins Gewicht; denn daran, dass Kant diese Vorlesungen
in seiner reifen Zeit hielt, wird nichts geändert.
Dagegen sind aus besten Gründen die Vorlesungen, die
L II zu Grunde liegen, etwa um ein Jahrzehnt später anzusetzen
, und noch ein wenig später fallen nach Heinze's
aufmerksamer Vergleichung die von K II witdergegebenen.
Wenn schon in diesen späteren Fassungen der „Vorlesungen
über Metaphysik* Kant's kritische Philosophie mehr sich
ausdrückt als in jenen früheren, ist trotzdem die Neigung
Kant's zum Transscendentalen und geradezu Mystischen noch
im Texte von K II deutlichst zu ersehen. —
Das also sind die mit grösstem Meiss und wachem
Scharfblick gewonnenen Ergebnisse von Max Heinzel Er
schreibt: „Unkantisches, d. h. solches, was von Kant nicht
vorgetragen sein kann, wird sich in den Vorlesungen kaum
entdecken lassen. Manches mag dagegen fehlen, kaum aber
Wichtiges. Darum wurde diese Nachschrift, wie L I und
H zeigen, immer wieder abgeschrieben, auch nach der
zweiten Auflage der Kr. d. E. Vn.a — Indem Kant Baum-
garten's „Metaphysik* diesen Vorlesungen gleichmässig zu
Grunde legte, blieb das für ihn, wie Heinze klarstellt, nur
Anlass zur Entwicklung seiner eigenen Gedanken. „Das
kann ich", sagt Heinze „mit Kant's über
allem Zweifel erhabener Wahrhaftigkeit
nicht vereinigen, dass er etwas anderes
seinen Zuhörern scheinbar als seine Meinung
kundgab, als was im Augenblick
seine innerste Ueberzeugung war.*) Manches
klingt da allerdings recht dogmatisch, da er die kritische
Einschränkung nicht stets beifügt; aber dann neigt
*) Immer wieder hat Kant ausgesprochen, dass er nie etwas lehrte,
was nicht seine volle Ueberzeugung war. Er macht in der Kr. d.
Pr. Vn. gelegentlich (s. Kehr back, S. 128—129) darauf aufmerksam, wie
„Genauigkeit und Offenheit der Untersuchung" im Kleinen die Wahrheitsgewinne
fördere. Als er beim Diner mit Lakarpe in Königsberg
ein Gespräch hatte über Unsterblichkeit, sagte er jenem, dass der
Philosoph mit dieser Frage „nicht Staat machen könne*, dass er aber
nie darüber anders gedacht habe, als es in seinen Schriften stehe.
In der Kr. d. RVn. (S. 310 f. bei Kehrhach) findet sich genau nun derselbe
Ausdruck, dass man nämlich mit der Seelenlehre und Unsterblichkeit
„Stat nicht machen kann", was besagen will, dass wir unsere
Selbstgefälligkeit nicht mit glänzend geführten Beweisen darüber
nach Art mancher Philosophen befriedigen dürfen, obschon Kant
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