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306 Psychische Studien. XXXV. Jahrg. 5. Heft. (Mai 1908.)
banden ist, so hätte sie doch jedem schon einmal begegnet
sein müssen. Diese Annahme ist falsch! Flammarion erinnert
in diesem Zusammenhange sehr mit Eecht an die
Elektrizität, die gewaltigste und mannigfaltigste aller
uns bisher bekannt gewordenen Kräfte. Wieviel Jahrtausende
hat die Menschheit auf der Erde gelebt, ohne sie
zu kennen! Ja, selbst grosse Geister, die ihr begegneten,
haben ihr Wesen durchaus nicht erfasst. So findet sich in
den Werken Galileo Galileis die folgende Stelle: „Wenn
man Bernstein, Diamant oder gewisse andere feste Körper
erwärmt, so ziehen sie kleine, leichte Körper an, denn,
wenn sie erkalten, ziehen sie die Luft an, welche diese
kleinen Körper mitreisst." Mit Recht sagt Flammarion,
nachdem er dies mitgeteilt: „Wenn jemand zu Galilei gesagt
hätte, dass in dieser vom Pernstein ausgeübten Anziehungskraft
der Keim eines neuen Zweiges der Wissenschaft
und die rudimentärste Aeusserung einer Energie, der
noch unbekannten Elektrizität, liege, so hätte er geantwortet
, dass es nutzlos sei, zum Unbekannten seine Zuflucht
zu nehmen.'4 — Das könnte aber u. E. doch schliesslich
auch einmal auf die eigentlich spiritistische Hypothese
seine Anwendung finden.
Iiiteratixrbericlit.
A. Bücherbesprechungen.
Karl Völlers, Die Weltreligionen in ihrem geschichtlichen Zusammenhange.
Jeaa 1907. Verlegt bei Eugen Diederichs. 181 Seiten 8°.
Das Buch, das, wie der Titel schon angibt, weder theologisch,
noch philosophisch, sondern rein geschichtlich sein will, behandele
nach einer kurzen orientierenden Einleitung die nordsemitischen
Religionen, die Religion des Alten Testaments, die persische Religion
, Indien und das Buddhatum, das Christentum und den Islam.
Die Schilderung der Anfänge des Christentums schliesst sich in den
meisten Punkten eng an die Ergebnisse der Neutestamentlichen Zeitgeschichte
, der Erforschung der Mysterien, des Mithraglaubens, der ,
Kultur der römischen Kaiserzeit und der hellenistischen Philosophie
an. Ganz neu ist die Erklärung des Auferstehungsglaubens aus den
umliegenden volkstümlichen Kulten. In einem kurzen Auszuge
lassen wir hier die Anschauung des Verfassers folgen. Statt eines
klaren Bildes der Person Jesu, statt eines wirklichen Menschen mit
Fleisch und Blut erhalten wir in den Evangelien ein schemenhafte**
Bild, das man in ein thaumaturgisches (des Wundertäters) und ein
boteriologisches (des Heilandes) zerlegen kann. Die Frage, wie in
der kleinen Jesus - Gemeinde bald nach dem Tode des geliebten
Meisters der Glaube an seine Auferstehung entstehen konnte, ist
bisher nicht gelöst worden. Der grosse Fehler der wenigen Forscher
besteht darin, dass sie Religion und Theologie verwechseln und
demzufolge die grossen, literarisch ausgebildeten Religionen statt
der im verborgenen blühenden lokalen volkskulte befragen. Die
Forderung, dass der ins Grab gesunkene Erlöser leben müsse und
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