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342 Psychische Studien XXXV. Jahrg. 6. Heft. (Juni 1908.)
und des extremen Idealismus (mit seiner Annahme einer
rein tätigen Seele) schwer hinauszukommen. Erst als durch
Leibniz die Materie in ein System von Kräften aufgelöst
war und durch Ed. v. Hartmann der Stoff als der blosse
sinnliche Widerschein dieses äusseren Kräftesystems im Be-
wusstsein erkannt war, konnte durch den letztgenannten
Denker der entscheidende Sehritt getan werden und die
Lehre P/oün's ihre Rechtfertigung finden. Denn nun verlor
ja die ganze Unterscheidung zwischen einem stofflichen
, rein leidenden Körper und einer unstofflichen,
rein tätigen Seele offenbar ihren Sinn. Der Körper rückte
als ein Stufenbau stoffloser Kräfte selbst auf die Seite des
unbewusst geistigen Seins hinüber. Seele und Körper waren
nur noch dem Grade nach von einander verschieden. Und
die Sinnesempfindung enthüllte sich als das Ergebnis eines
Zusammentreffens von Tätigkeit und Leiden oder als eine
Reaktion der Seele auf Grund der von aussen durch Vermittlung
des Körpers auf sie einwirkenden Sinnesreize. —
fSchluss folgt.)
Das zweite Gesicht nach Wirklichkeit und Wesen
von Prof. Dr. Fr. Zurbonseii.
Besprochen von Dr. Joh. Kleriktis
Zu den erfreulichsten Erscheinungen des XX. Jahrhunderts
rechne ich die Tatsache, dass die Vertreter der
Wissenschaft aus ihrer bisherigen so reservierten Haltung
gegenüber den mystischen Erscheinungen des Seelenlebens
mehr und mehr heraustreten und es nicht mehr für eine
Verleumdung wissenschaftlicher Prinzipien ansehen, die
mystischen Tatsachen als solche anzuerkennen.*) In die
Reihe dieser Forscher hat sich auch der Münsterer Professor
Dr. Zurbonsen mit seiner jüngst im Verlag von Bachem
(Köln, Ladenpreis broch. M. 8,80) erschienenen Schrift über
das sog. zweite Gesicht gestellt. Er definiert dasselbe als
„das Vermögen der Seele, inmitten des Wachzustandes
plötzlich Vorkommnisse oder Tatsachen des täglichen Lebens
der Zukunft (selten der Gegenwart) lern- und vorschauend
wie mit leiblichem Auge wahrzunehmen." „Der mit dem
*) Es ist jedenfalls auch ein bedeutsames Zeichen der Zeit,
dass sowohl das Konv.-Lexikon von Brockhaus (Bd. 16, S. 1065) als
das bei Herder erschienene (Bd. 7 s. v. Somnambulismus) die Tatsache
anerkennen.
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