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362 Psychische Studien. XXXV, Jahrg. 6. Heft. (Juni 1908.)
e) Wider den Monismus. Der Kieler Botaniker
Johannes Hemke hielt jüngst in der Singakademie vor
einem zahlreichen Publikum von Freunden und Gegnern
seiner Weltanschauung und unter dem Titel „Das Lebendige
und das Leblose" den ersten der von ihm angekündigten
„Vorträge wider den Monismus4'. Er spricht
langsam und laut, in kurzen bestimmten Sätzen und in
einem leicht pastoralen Ton, der dem Inhalt seiner Worte
eine besondere Bedeutung gibt, sobald er, was übrigens
selten geschieht, eine Bemerkung religiöser Natur einflicht.
Den Kern seiner Ausführungen bildeten folgende Argumente
: Alles Lebendige ist an das Protoplasma, an
den eigentümlichen Stoff gebunden, aus dem sich der
wesentliche Teil jeder Zelle zusammensetzt. Das Protoplasma
weist zwar dieselben Elemente auf, die sieh auch
im Leblosen vorfinden, aber weder ist deren chemische Zusammensetzung
, noch die eigentümliche Struktur ihrer Lagerung
bekannt. Hierzu kommen Unterschiede vom Anorganischen
, von denen man sagen kann, dass sie auch in
Zukunft nicht erkennbar sein werden. In jeder Zelle liegt
das Prinzip der Selbsterhaltung und das Prinzip der Fortpflanzung
. Es lässt sich schlechterdings in wissenschaftlich
befriedigender Form nicht angeben, wie man von diesen
wesentlichen Eigenschaften der Zelle aus eine Brücke zur
leblosen Materie hinüberschlagen will. Diejenigen, die eine
Urzeugung für möglich halten, vermögen nicht einmal anzugeben
, wie sich aus höheren chemischen Verbindungen
das erste Protoplasma gebildet haben soll, und sie sind
ganz und gar Phantasten, wenn sie behaupten, die erste
Geburt hätte aus feuchter Erde und Meerwasser auftauchen
können. Doch vom Protoplasma empor führt als gewaltigstes
Prinzip des Organischen die Entwickelung. Durch
keine physiko - chemischen Vorgänge ist die Entwickelung
zu erklären und die Fülle der besonderen Kräfte, von denen
sie getragen wird. Das Vererbungsproblem spottet jeder
chemischen und miskoskopischen Untersuchung. Ein Froschprotoplasma
unterscheidet sich nicht im mindesten von
irgendeinem anderen. Das Problem der Zweckmässigkeit
lässt sich ebensowenig mit den Mitteln abtun, die viele für
ausreichend zu halten scheinen. Denn diese Zweckmässigkeit
des Organischen, die man besser „ausreichende Zweck-
mässigkeit« nennen muss, ist vorhanden und stellt vorläufig
auch für die mechanistische Weltanschauung ein Rätsel vor.
Auf dem Gebiete der Erklärung des organischen Lebens
spielt die Verwendung von Gleichnissen eine Bolle, die zu
verhängnisvollen wissenschaftlichen Irrtümern geführt hat.
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