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Kurze Notizen.
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Denn indem man irgendwelche Vorgänge aus dem Reiche
des Lebendigen und des Leblosen nebeneinander stellte,
kam man häufig zu dem Schluss, dass hier eine völlige
Analogie bestände, nur weil an einem Punkte eine Ueber-
einstimmung vorhanden war. Der Vergleich der Zelle mit
dem Kristall gehört hierher. Und doch ähnelt die Zelle
dem Kristall nicht mehr, als eine wirkliche Schlange dem
bekannten Spielzeug der Pharaoschlange, bei dem eine in
eine Bohre eingeschlossene Quecksilberverbindung durch
Hitze in Windungen herausgetrieben wird. Eine von
Menschenhand gebaute Maschine ist sehr wohl mit einem
Organismus zu vergleichen. Und dennoch können keine
Worte die fundamentalen Unterschiede, die den Organismus
von der Maschine trennen, aus der Welt schaffen. Ueber
den Mechanismus führen das Organische hinaus: Fortpflanzung
, Neubildung und Selbstentwickelung. — Wollte
man schliesslich vor allen diesen unterscheidenden Merkmalen
die Augen verschliessen, die Tatsache der psychischgeistigen
Erscheinung Hesse sich nicht hinwegscheuchen.
Keine Kunst der Dialektik kann diese bedeutsamste Eigenschaft
der Lebewesen aus dem Anorganischen heraus herleiten
. Der „Monismus" ist genötigt, Halt zu machen vor der
Intelligenz und der geistigen Persönlichkeit. — In dieser
Argumentation gipfelten^ die Ausführungen des Redners,
dem man mit gespanntem Interesse, ohne eine Aeusserung
des Beifalls oder Widerspruchs, folgte. Dem Vortrage
wohnte auch die Kaiserin bei. (Aus „Berliner Tageblatt"
Nr. 114 vom 3. März er.)
f) Goethe als Sagenfigur. Wilhelm Bode erzählt
in dem demnächst erscheinenden Heft der von ihm herausgegebenen
„Stunden mit Goethe11 (Berlin, E. 8. Mittler und
Sohn) von einigen Ueberlieferungen, die sich in Weimar
unter dem Volke von Goethe erhalten haben; Tatsachen,
Sagen und eigene Hinzudichtungen haben sich da wunderlich
zusammengemischt und aus Goethe sefion vor zwei
Menschenaltern eine Sagenfigur gemacht Was Bode berichtet
, geht auf die Erzählungen der vor drei Jahren gestorbenen
Frau Voigtritter zurück, die in jüngeren Jahren
die Meisterin in der Bäckerei gewesen war, die Goethe'%
Hause gegenüber liegt. Sie hat selbst den Dichter nicht
mehr gekannt, da sie erst nach seinem Tode durch ihre
Heirat nach Weimar gekommen war; aber sie hat noch
viel aus seiner Umgebung gesehen, am häufigsten den Hauslehrer
von Goethe'* Enkeln, Rothe, der schon bei Lebzeiten
des Dichters in der Mansarde des Goethehauses gewohnt
hatte. Auf die Berichte dieses Hauslehrers stützte sie sich
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