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484 Psychische Studien. XXXV. Jahrg. 8. Heft. (August 190b.)
schlossenen Augen sass. Die an dem Tisch Sitzenden
sollten, den Gegenstand scharf ins Auge fassend, alle ihre
Willenskraft zusammennehmen in dem Verlangen, mir den
von ihnen geschauten Gegenstand ins Gehirn zu übertragen
und ihn mir auf diese Weise zur Wahrnehmung zu
bringen. Wenn ich sagen würde, dass ich etwas wahrgenommen
hätte, so sollte der Gegenstand vom Tisch weggenommen
und versteckt werden; dann erst sollte ich aufstehen
und das Geschaute aufzuzeichnen versuchen, damit
jegliches Missverständnis darüber ausgeschlossen wäre, was
ich meinte, und damit auch keine ungewollte Beeinflussung
meiner Schilderung durch Worte oder Fragen der Anwesenden
stattfinde.
Wir begannen. Ich kann längere Zeit, vielleicht
2 Minuten, nichts Charakteristisches wahrnehmen, und will
eben den Versuch abbrechen, als. plötzlich blitzartig ein
Gebilde erscheint und ebenso rasch wieder verschwindet.
Dieses blitzartige Auftreten und Verschwinden errinnert
mich an die früheren Erfahrungen vor l*/2 Jahren, und ich
gebe das Zeichen zum Verstecken des Gegenstandes auf
dem Tisch, trete dann an den Tisch heran und zeichne,
ohne dass Worte gewechselt /------------x werden,
eine längliche, an den Enden f J abgerundete
Figur auf, von der ^--------^ ich absolut
rieht sagen kann, was sie bedeutet. Ich sehe Ueber-
raschung und Verwunderung in den Gesichtern der An-
r~~)-----^ wesenden. „Was war's?" frage ich
I ( O öelbst gespannt; man zieht eine
v_J--------j Sicherheitsnadel hervor und ich erkenne
mit den anderen, dass das von mir gezeichnete ziemlich
genau in Grösse und Form mit der Nadel übereinstimmt
. Wenn ich nicht irre, machten wir noch einen Versuch
, der aber misslang. —
Dies sind meine positiven, und zwar experimentellen
Erfahrungen auf diesem Gebiete. Dass spontan
auftretende Gedankenübertragungen nichts Seltenes sind,
weiss jeder, der die eigenen Gedankengänge und Einfälle
aufmerksam mit den Aeusserungen und Gedanken ihm persönlich
nahestehender Menschen vergleicht. Man macht da
bekanntlich die Erfahrung, dass Gedanken oder Namen
von Personen, die einem „auf der Zunge schwebten", oft
gleichzeitig vom anderen ausgesprochen werden oder umgekehrt
— auch nach längeren Gesprächspausen. Aber
diese Fälle haben natürlich nicht die erforderliche wissenschaftliche
Beweiskraft, während man sie den von mir
oben mitgeteilten Versuchen — trotz der etwa in gleicher
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