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Moll: Wert der modernen Forschungen über Aussagepsychologie. 491
nen exakten Psychologie Anwendung gefunden haben, dass
sie in grösserem Massstab und detaillierter vorgenommen
sind als jemals zuvor. Man muss sich aber vor einer
Ueberschätzting der Ergebnisse dieser Experimente hüten,
deren Bedeutung, insbesondere für die gerichtliche Praxis,
man vielfach stark übertrieben hat. In Betracht kommen
bei der Fälschung der Aussage einmal Fehler des Gedächtnisses
und dann Fehler der Beobachtung
. Hans Gross, der berühmte Kriminalist, hat in seiner
Kriminalpsychologie nachgewiesen, dass man die Gedächtnisfehler
vielfach zu sehr überschätzt habe; er kommt zu
dem Schlüsse: „Der Zeuge bietet viel mehr Erschlossenes
als Beobachtetes.*
Auf verschiedene Weise hat man Experimente angestellt
. Siern und andere haben viele Bildversuche
angestellt, die aber, wie heute allgemein anerkannt, zwar
einiges psychologisches und auch pädagogisches Interesse
bieten, aber für die forensische Aussage kaum in Betracht
kommen. Deshalb hat man, wenn auch seltener, Wirklichkeitsversuche
angestellt, von denen besonders
das Experiment in dem Seminar von Professor v. Liszi
Aufsehen erregt hat. Alle diese Versuche haben aber im
Grunde nur die Bestätigung schon längst bekannter Tatsachen
gebracht, gesicherte neue Ergebnisse aber kaum gezeitigt
. Vor unzulässigen Verallgemeinerungen muss man
sich hüten. So haben die modernen Studien zwar bestätigt,
da3s die Kinder suggestibler sind als Erwachsene,
irrig aber wäre es, wenn man ihre Aussagen deshalb überhaupt
gering werten wollte. Schon Hans Gross hat darauf
hingewiesen, dass Kinder unter Umständen die besten
Zeugen abgeben; man muss nämlich unterscheiden, ob sie
beeinflusst sind oder nicht. Bestätigt bat sich auch die
schon in unserer Strafprozessordnung § t>8 zum Ausdruck
kommende Erfahrung, dass die Aussage als Verhörsprodukt
weit mehr Fehler enthält als die spontane
Aussage.
In mancher Richtung ist das Ergebnis der Aussageforschung
noch widerspruchsvoll, so bezüglich des Einflusses
des Geschlechts und bezüglich des Einflusses
, den Aufmerksamkeit auf die Zuverlässigkeit
einer Aussage hat. Dass die Länge des Zeitraumes
zwischen Erlebnis und Aussage eine Rolle spielt, ist nachgewiesen
. Sicher ist auch, dass Affekte und Gefühle
sowohl bei der Wahrnehmung, als auch bei der Aussage
selbst eine grosse Rolle spielen. Den Einfluss des Erwartungsaffektes
kann man insbesondere bei den Berichten von
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