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548 Psych. Studien. XXXV. Jahrg. 9. Heft. (September 1908.)
sehen mögen." Nach Heynacher „genügen" diese Worte,
um Goethe'* Stellung zum Okkultismus anzudeuten. Darauf
wird noch ein Vers aus „Faust" (Ii) zitiert, der den Leser
nicht im Unklaren darüber lässt, dass diese Stellung ab-
lehnend gewesen, wenigstens was die Beschäftigung mit
okkulten Dingen betrifft. Dies ist nun aber eine sehr irrtümliche
Schlussfolgerung, wie man denn bei Goethe überhaupt
, wenn man nur vereinzelte, besonderen Stimmungen
entsprungene Aeusserungen herausgreifen wollte, die tollsten
Dinge feststellen könnte: z. B. dass er vom Protestantismus
nichts gehalten habe, weil er in einem Briefe an Knebel
(Aug. 1817) die Reformation als einen „verworrenen Quark,
wie er uns täglich zur Last fällt", bezeichnet hat; oder
dass er vom ganzen Christentum nichts habe wissen wollen,
weil er sich einmal einen „alten Heiden" genannt hat; oder
dass er an keine Fortdauer nach dem Tode geglaubt, weil
es in einem launigen, gegen triviale Vorstellungen des
Kirehenglaubens gerichteten Verslein heisst, dass er „ein
Sadduzäer" bleiben wolle.
Da der zuletzt berührte Punkt, die Unsterblichkeit
des Menschengeistes, mit gewissen okkulten Phänomenen
in nahem Zusammenhange steht und da er zudem die Kardinalfrage
der Menschheit genannt werden muss, bemerke
ich vor allem, dass jenem scherzhaften Sadduzäerbekenntnis
etwa ein halbes Hundert wohl überlegter, sehr ernst zu
nehmender Aeusserungen entgegengesetzt werden können.
Dies ist um so beachtenswerter, als die in Rede stehende
Frage eine der wenigen ist, hinsichtlich welcher Goethe sich
während seines ganzen langen Lebens stets im selben bejahenden
Sinne und mit gleicher Bestimmtheit ausgesprochen
hat. Die hierher gehörigen Aeusserungen, die allein schon
Goethe sehr wenig „aufgeklärt" erscheinen lassen, habe ich
in der Schrift „Goethe und der Materialismus" (0. Mutze,
Leipzig) in bisher meines Wissens noch nicht gebotener
Vollständigkeit zusammengestellt.
Was nun Goetheh Stellung zum Okkultismus betrifft, so
liegt der Schwerpunkt nicht in der Frage, ob er sich mit
dieser Geistesrichtung viel oder wenig beschäftigt und das
Studium derselben gebilligt hat oder nicht, sondern in dem
Umstand, dass er die Tatsächlichkeit, bezw. Möglichkeit
der okkulten Phänomene — denn darum
handelt es sich bei diesem immer noch verpönten
Wissensgebiet vor allen Dingen — mit ganz einzig dastehender
Unbefangenheit und Weitsichtigkeit ausdrücklich
anerkannt hat. Dies kann man zum Teil gerade
aus dem über die Seherin von Prevorst Gesagten schon
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