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Kaindl: Eusapia Paladino und der Spiritismus. 533
ungen; dagegen machte sie so manche seltsame telepathische
Erfahrung* Zwei Personen, denen man sie vorgestellt
hatte und welche sie zu bewundern vorgaben, während sie
n Wirklichkeit eine feindliche Gesinnung gegen sie hegten,
wies sie beidesmal, ohne sie auch nur eines Blickes zu
würdigen, mit rücksichtslos grober Schrofiheit ab. —
Ihre Bildung ist die einer Frau aus der niedersten
Volksklasse; aber wenn sie einerseits auch häufig einen
Mangel an richtigem Verständnis und gesundem Menschenverstand
an den Tag legt, so besitzt sie doch anderseits
wieder ein intuitives Vermögen und eine intelligente Feinfühligkeit
, die mit ihrem Bildungsgrad kontrastieren und
sie befähigen, den wirklichen Wert eines Menschen von
Genie, mit dem sie in Berührung kommt, richtig zu beurteilen
und gebührend zu würdigen, ohne sich in ihrem
Urteile durch den falschen Nimbus, welchen Reichtum und
Autorität verleihen, irgendwie beeinflussen zu lassen.
In einem Grade einfältig, um sich von dem ersten besten
Ränkeschmied überlisten und täuschen zu lassen, offenbart
sie andererseits doch zuweilen — sowohl vor, wie während
ihres Trancezustandes in einer Sitzung — einen Grad von
Schlauheit, welche nicht selten in Betrug gipfelt So wurde
einmal beobachtet, wie sie sich ein Haar ausriss und es derart
auf den Teller einer kleinen Dezimalwage legte, um sie
zum Sinken zu bringen. Ein andermal wurde sie dabei
überrascht, wie sie sich insgeheim einige Blumen anzueignen
suchte, um sie zur Vortäuschung von Apporten zu ver
wenden, ja sogar wie sie mit den Händen aus ihre
Taschentuche allerlei Hampelmännchen formte, um dami
Phantome zu imitieren.
Sie verfügt über ein lebhaftes Erinnerungsvermögen
des Gesichts, so dass sie imstande ist, von zehn ausehau-
lichen Dingen, die ihr innerhalb dreier Sekunden übermittelt
wurden, fünf im Gedächtnisse zu behalten; sie besitzt
das Vermögen, besonders wenn sie die Augen schliesst,
sich die Gesichtsformen von Personen mit solcher Anschaulichkeit
in Erinnerung zu rufen, dass sie ihre charakteristischen
Züge genau zu schildern vermag. Aber es zeigen
# sich bei ihr auch krankhafte Symptome, welche beinahejJäf
Hysterie deuten. Ihre Gemütsstimmung schlägt plötzlich
von Freude iE Trauer um; sie hat seitsame Angstgefühle
und Beklemmungen; sie hat eine unerklärliche Furcht vor
einer Beschmutzung ihrer Hände; trotz ihres reifen Alters
ist sie sehr leicht von aussen her zu beeinflussen und lebhaften
Träumen unterworfen: sie ist oftmals Halluzinationen
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