http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1908/0613
600 Psych. Studien. XXXV. Jahrg. 10. Heft. (Oktober 1908.)
hatte, Probleme an der Grenze des menschlichen Erkenntnisvermögens
inbetracht zu ziehen. Er hat schon vor
vierzig Jahren versucht, die mediumistischen oder spiritistischen
Erscheinungen wissenschaftlich zu fassen, und in
der vorliegenden Arbeit, deren Original 1906 erschien, hat
er die inzwischen angesammelten Materialien, soweit sie
wissenschaftlich verwertbar erschienen, zusammengearbeitet.
Liest man das Buch in dem ernstlichen Bemühen, sich von
ererbten Vorurteilen frei zu halten, so kann man sich dem
Eindruck nicht entziehen, dass es sich hier um beobachtete
Tatsachen handelt, die man generell zu
leugnen nicht mehr das Recht hat. Der Verf. macht selbst
mit allem Nachdruck darauf aufmerksam, dass fast alle
Medien betrügen, weil sie nicht immer die gewünschten Erscheinungen
hervorzubringen vermögen und dennoch den
Ruf ihrer besonderen Fähigkeiten nicht verlieren möchten:
so helfen sie künstlich nach, wenn es nicht gehen will, und
finden es meist leicht, ihr bereitwilliges Publikum hinters
Licht zu führen. Aber nach Abzug dieser Täuschungen
bleibt dennoch ein so grosser Betrag wohl konstatierter
Fälle, dass man den Versuch machen muss, sich mit ihnen
ins Verhältnis zu setzen. Um ein Beispiel anzuführen, das
mich persönlich besonders überzeugt hat, erwähne ich die
Beobachtungen von Castez-Degrange, die S. 319 des Buches
angeführt sind. Dieser Mann, der Vizedirektor der Kunstschule
von Lyon ist und sich als permanenten Skeptiker
von naturwissenschaftlicher Denkart bezeichnet, hat derartige
Erscheinungen bereits früh beobachtet, da er mit
mediumistischen Fähigkeiten, sehr gegen seinen eigenen
Wunsch, ausgestattet ist. Er hat die Tatsachen konstatiert,
die Beschäftigung mit den Erscheinungen aber aufgegeben,
weil für ihn nichts Vernünftigeres bei diesen Vorgängen
herauskam. Später hat er die Experimente wieder aufgenommen
und sehr merkwürdige Wirkungen beobachtet.
Sie mögen in dem genannten Buche nachgelesen werden.
— Was die Theorie dieser Dinge anlangt, so musste ich
verlangen, dass die energetische Weltauffassung, die ja beansprucht
, hypothesenfrei, aber zureichend die Erscheinungen
beschreiben zu können, sich auch hier bewährt. In
solchem Sinne lässt sich sagen, dass die mediumistischen
Erscheinungen folgendermassen zusammenfassbar sind: Gewisse
Menschen vermögen ihren physiologischen
Energievorrat (der bekanntlich fast
ausschliesslich als chemische Energie vorhanden ist) in
andere Formen zu verwandeln, die sie
durch den Raum versenden und an vorgeschrie-
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1908/0613