Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene, Bibliothek, Frei122-Z5
Aksakov, Aleksandr N. [Begr.]
Psychische Studien: monatliche Zeitschrift vorzüglich der Untersuchung der wenig gekannten Phänomene des Seelenlebens
35. Jahrgang.1908
Seite: 609
(PDF, 215 MB)
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Steckel: Ist der Landstreicher geisteskrank?

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in grausamer Weise gemartert. Gemartert, weil die Anstaltsärzte
, die Offiziere, die Richter, die Gefängnisdirektoren
keine genügende psychiatrische Vorbildung besitzen
.

Noch einen Moment müssen wir bei dieser Gelegenheit
betonen. Die psychiatrische Schulung allein macht es noch
nicht. Die Kenntnis der kranken Seele muss vom Studium
der gesunden ausgehen. Wie traurig schaut es aber in
dieser Hinsicht aus! Was für erschreckende Blossen haben
sich in den letzten Jahren verschiedene berühmte Psychiater
gegeben! Wie wenig Verständnis haben sie für die normale
menschliche Psyche gezeigt!

Dem Werke Wilmann$% dessen reichen Inhalt ich hier
kaum andeuten konnte, ist die grösste Verbreitung zu
wünschen. Es wirft ein grelles Licht auf die Psychologie
des Landstreichers. Es zeigt uns, wie verschieden der
Vagant im Liede und im Leben aussieht. Es fehlt allerdings
noch eine Ergänzung. Wie gross ist das Verhältnis
der geistig gesunden Vaganten zu den kranken? Gibt es
überhaupt geistig gesunde Landstreicher oder ist der soziale
Verfall, das Ruhelose, Unstete stets ein Symptom einer
Geisteskrankheit ?

Fast hat es so den Anschein. Um diese Frage zu entscheiden
, ist noch eine Reihe von Untersuchungen notwendig
. Auffallend ist schon heute die hohe Prozentzahl
von Dementia praecox - Kranken unter den Vagabunden.
Woher kommt das? Mit Heredität, Infektion, Milieu lässt
sich das Verhältnis nicht erklären. Sollen sich nicht
psychische Wurzeln finden lassen? —

Und sie haben sich gefunden. In einem soeben erschienenen
hochinteressanten Werke „Ueber die Psychologie
der Dementia praecox", von Privatdozent Dr. Jung (Marholä,
Halle 1907) wird der Nachweis geliefert, dass dieses fürchterliche
Leiden seine psychische Begründung hat. Jung hat
die lallende, unzusammenhängende, sonderbare Sprache
eines solchen Geisteskranken analysiert und gefunden, dass
diese Kranken in ihrer eigenen Welt leben, in der ihre
Phantasie ihnen die Entbehrungen des Daseins reichlich
aufwiegt. Sie schaffen sich im Geiste die Erfüllung aller
Wünsche. Die Ursachen ihres Leidens wären in erster
Linie die Verdrängung affektiv gefärbter Wünsche ins Un-
bewusste. Wie man sieht, eine Anwendung der Freud'&chen
Theorie der Hysterie für die Geisteskrankheiten. Die Psychose
wäre also nur eine „Flucht in die Krankheit".

Warum aber das eine Mal eine Hysterie, das andere
Mal eine Dementia praecox entsteht, das weiss Jung uns

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