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654 Psych, Studien, XXXV. Jahrg. 11. Heft. (November 1908.)
den Rumpf füge und der Leichnam wieder dadurch lebendig
werde, ist heute unmöglich, sehr wohl möglich ist
aber, dass dies vor Millionen von Jahren hätte geschehen
können, weil damals ganz andere Bedingungen solchen Geschehens
an der Erdoberfläche existieren konnten." — Ich
gehe hier nicht näher auf die Urzeugung ein, weil ich -an
verschiedenen Stellen die chemische, physikalische und biologische
Unmöglichkeit derselben nachgewiesen zu haben
glaube. Wohlverstanden einer Urzeugung durch die dem
feuchten Erdboden innewohnenden chemischen und physikalischen
Kräfte; es ist das ein Märchen, gleich dem
Märchen von der Wiederbelebung des Enthaupteten. Dagegen
bin auch ich fest überzeugt von der elternlosen Entstehung
der Urzellen aus dem anorganischen Material der
Erdrinde, die vor langer Zeit erfolgte. Sie kann aber
nicht geschehen sein durch die chemischen Eigenschaften
der Mineralstoffe, sondern dürch den Eingriff von Kräften,
die sich menschlicher Beobachtung und Erfahrung entziehen
; diesen Vorgang nenne ich nicht Urzeugung, sondern
Schöpfung. Wenn gewisse Naturforscher voraussetzen, dass
es solche Kräfte, die wir Menschen nicht sinnlich wahrnehmen
können, nicht gibt, so ist dies eine willkürliche,
aus der Luft gegriffene Hypothese, —
Weit mehr noch als durch die Urzeugung ist die
Menschheit erregt worden durch die Einbeziehung des
Menschen in die Abstammungslehre. Ich erinnere mich
aus meiner Jugend, dass man in weiteren Kreisen zunächst
nur wusste, dass der „Darwinismus" die Abstammung des
Menschen vom Äffen lehre: es war ein Schreckschuss für
ängstliche Gemüter. Heute ist man in dieser Beziehung
ruhiger geworden und erörtert die bezüglichen Fragen mit
mehr Gelassenheit. Ich meinerseits kann mein Urteil auch
hier, wie ich an anderen Stellen bereits mehrfach getan
habe, kurz dahin zusammenfassen, dass die Naturforschung
über den Ursprung des Menseben bis heute nicht das Geringste
ermittelt hat, dass alles Wissen auf diesem Gebiete
fehlt, auf dem Hypothesen desto üppiger wuchern. Ueber
die Erörterung von Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten
ist die Wissenschaft hinsichtlich dieses Problems bis heute
nicht hinausgekommen.
Könnten wir etwas Sicheres über den Ursprung des
Menschen durch Beobachtung ermitteln, so hätten wir es
mit einem wirklichen Problem der Naturforschung zu tun.
Mich dünkt dies indes überaus unwahrscheinlich; darum
halte ich die Peststellung der Entstehung des Menschen
für ein Scheinproblem, soweit Naturforschung im Spiele ist.
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