http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1908/0670
Trick oder Gedankenübertragung?
657
war und der die Frage anschnitt: „Ist es ein Trick, oder
gibt es eine Gedankenübertragung?", brachte eine Menge
von Zuschriften aus unserem Leserkreise. „Gewiss," hiess
es in den meisten Briefen, „sehr interessant, aber — an
eine Gedankenübertragung können wir nicht recht glauben!"
Nun, ehrlich gestanden — wir in der Redaktion auch nicht
Doch als ich mich mit den Zancig's darüber unterhielt,
meinten diese: „Gut, dann wollen wir Ihre Redaktion überzeugen
!"
Die kleine Söance am Sonntag mittag war das Resultat
« In einem grossen, hellen, spiegellosen Zimmer hatten
wir uns zusammengefunden; etwa fünfzehn Personen, darunter
die bekannten Psychologen Dr. Albert Moll und Professor
Max Dessoir. Die beiden Gelehrten hatten es in
liebenswürdigster Weise übernommen, die Vorführung auf
ihren wissenschaftlichen Wert — eben den der Gedankenübertragung
— zu prüfen. Frau Zancig Hess sich am
äussersten Ende des Zimmers nieder, ihren Rücken den
Anwesenden zuwendend. Am anderen Ende des Zimmers
nahmen Dr. Moll und Dr. Dessoir Herrn Zancig in ihre
Mitte, und die Versuche konnten beginnen. Einer der anwesenden
Herren schrieb die Zahl 27,938 auf ein Blatt
Papier, Ein anderer setzte 05461 darunter, Kein Wort
wurde gesprochen; nach etwa einer Minute gab Frau Z.
das Resultat: 33,399. Die Nummern von Fahrscheinen
und Strassenbahn - Abonnementskarten, Bleistifte, Stöcke,
Eigennamen, die Farben der Kleider und Möbelstücke,
adressierte Kuverte, — alles wurde so auf Frau Z. in ihrer
geheimnisvollen Methode übertragen, und richtig übertragen.
Dabei fiel nur höchst selten ein Wort. Jemand zeichnete
einen grösseren Kreis und einen an diesen oben anstossenden
ganz kleinen, und dachte dabei an eine Uhr. Frau Z. erriet
eine Uhr. Herr Dessoir zeichnete ein doppeltes Dreieck
auf das vor Herrn Z. liegende Blatt. Ein ähnliches
Dreieck zeichnete Frau Z. am anderen Ende des Zimmers.
Und so weiter, über eine halbe Stunde hindurch. Doch
die Herren der Wissenschaft waren so schnell nicht befriedigt
. Es wurde eine zwei Meter hohe Roliwand herbeigebracht
, Dr. Moll und Frau Z. wurden in eine Ecke des
Zimmers, von der Rollwand umgeben, abgesondert. Zuvor
musste das Künstlerpaar die Augengläser zur Seite legen.
Die Anwesenden umgaben Herrn Z., der seine Frau jetzt
natürlich nicht sehen konnte. Prof. Dessoir schrieb auf ein
Blatt Papier: 44,444. Niemand sprach eine Silbe. Bald
darauf ertönte es aus der Ecke, wo Dr. Moll neben der
Frau Z. sass: 44,444. Dann brachte Prof. Dessoir eine
48*
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1908/0670