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Trick oder Gedankenübertragung ?
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bild meines zweitjüngsten Töchterchens (das Bild stand
unter allerlei Nippsachen auf einem der Tische) abzuküssen*
Ich brauche kaum zu bemerken, dass sonst die Gewohnheit
meiner Frau nicht war, Photographien zu küssen; am
wenigsten Veranlassung hatte sie zu einem Kuss gerade auf
dieses Bild, dessen Original, mein kleines Fränzchen, in
Fleisch und Blut im Nebenzimmer schlief* Der Zufallskoeffizient
war also bei dieser absonderlichen Aufgabe auf
so viel wie Null reduziert. Was geschieht? Meine Frau,
hereingerufen, schaut uns einen kurzen Augenblick ratlos
an und macht unentschlossen im Zimmer drei, vier Schritte.
Da, plötzlich, erstrahlt ihr Gesicht in hellster Mutterfreude;
verklärten Blickes eilt, nein stürzt sie sich dem betreffenden
Tische zu, fasst das Bildchen mit beiden Händen an und
küsst es mit Inbrunst, die ganze Umgebung vergessend,
bis allgemeines Händeklatschen sie wieder zu sich bringt.
Ich habe, als wir beide allein waren, meine Gattin gefragt,
was sie zu ihrem Tun getrieben habe. Sie wusste es selber
nicht recht. Es sei ganz unwiderstehlich gewesen. Die
Liebe zum Kinde sei beim Anblick des Bildchens in ihr
so mächtig aufgeflammt, dass sie den Drang verspürte, das
Konterfei auf der Stelle zu küssen. Der Gesellschaft und
der ihr aufgestellten Aufgabe hatte sie dabei vollständig
vergessen/' —
Im Anschluss nun an die Zand^'schen Experimente
und den Brief des Herrn Brüstlein dürften die wissenschaftlichen
Erklärungen, die mir Dr. Moll und Prof» Dessoir
über Telepathie gaben, ganz besonders interessieren. Sanitätsrat
Dr. Moll schreibt: r Wissenschaftlich wird eine Gedankenübertragung
nicht anerkannt, solange der Ueber-
tragende in demselben Zimmer ist wie die Person, auf die
der Gedanke übertragen werden soll; besonders, seit zwei
dänische Forscher — Lehmann und Hansen — gezeigt
haben, dass minimales Flüstern ebenso wie andere
Zeichen eine Verständigung zwischen zwei Personen erlaubt
, ohne dass die andern im Baum Anwesenden davon
auch nur das Geringste wahrnehmen. Da Herr Z. sich
weigerte, in ein anderes Zimmer zu gehen, wollten wir
wenigstens den Versuch machen, die Wahrnehmung durch
das Auge und das Gehör auszuschliessen. Den Ausschluss
der Augen hat Herr Z, gestattet, indem die Frau sich
umdrehte und später sich hinter eine spanische Wand begab
; dagegen haben die Zancig's nicht gestattet, dass der
Frau Z. die Ohren verstopft wurden. Oder vielmehr, sie
haben es erst abgelehnt, als sie meine sehr minutiösen Vorbereitungen
, insbesondere Wachs und Heftpflaster, erblickten.
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