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718 Psych. Studien. XXXV. Jahrg. 12. Heft. (Dezember 1908.)
für den Augenblick der Macht König Mammons nicht gedenkt
. Für den ungenügend Kundigen wird es schwer,
Philosophie und Philosophasterei von einander zu trennen;
so wie das Misstrauen eines solchen Geschöpfes erregt ist,
wirft es ohne Verständnis und wildleidenschattlich auch das
Beste in die Tonne der After-Philosophheit. Der ehrliche
Kundige ging von Alters her daiauf aus, den guten Kern
jeder Philosophie zu retten, während der rücksichtslose
Halbkopf den guten Kern vernichtete und durch rechten
Unsinn ersetzte. Viele Spaziergänger in den Wolken, welche
den Boden geistig entdeckter Tatsachen verliessen und der
Phantasie gestatteten, sich auszutoben, sind von den wenigen
wirklich Kundigen erkannt worden; allein, sehr oft folgte
diesem Erkennen keine rettende Tat, und es blieb der Zeit
überlassen, den Weizen auszusieben. Dergleichen geschah
nicht selten so, dass der Geschichtsforscher Klagelaute
hören Hess.
Herrschaft glänzender Philosophasterei pflegt unduldsam
zu sein, hart und grausam; denn dieselbe hat den
Schein für sich und Schein blendet alle jene Zahllosen,
denen Denken Last ist und edles Fühlen nicht Gewohnheit
wurde. Es ist sonach verständlich, dass der Philosophaster
regelmässig Erfolg erreicht, der Philosoph jedoch nur ausnahmsweise
. Dazu kommt auch noch der Umstand des
zumeist grössern materiellen Wohlstands bei ersterem und
der zumeist obwaltenden Armut bei letzterem. Wer mit
gutem Geldsack in der Hand des Lebens Tai durchpilgert,
dem öffnen sich alle Türen und Tore; wer mühsam über
Felsen klettert und bei jedem Schritt und Tritt um das
Brot des Daseins kämpft, dem werden auch die kleinsten
Luken vor der Nase zugehauen und seine ganze Ehrlichkeit
und Heiligkeit aller Welt als Wahnsinn oder Blödsinn
demonstriert.
Herrschaft der Philosophasterei versieht das Volk in
allen seinen Schichten mit falscher Weltanschauung und
diese zeugt grosse moralische Uebel, aus denen wieder
Krankheit und Entartung sich entwickeln. Jede Weltanschauung
, welche den Geist nicht befriedigt und dem Gemüt
sein Recht versagt, den Geist verwirrt und edle Regungen
des Herzeiis unterdrückt, macht, verbunden mit Nationalökonomie
, Jurisprudenz und Sozialpolitik des Egoismus, aus
den Menschen Ungeheuer. Dies kann jeder Zeitgenosse
wahrnehmen und mit Händen greifen, wenn er nur mit
etwas Verständnis um sich blickt. Falsche Weltanschauung
lenkt vom Wege der Natur ab und nimmt Kraft; darum
widerstreitet sie dem wahren Lebensinteresse aller Be-
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