http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1908/0734
Keich: Philosophie und was dazu gehört.
719
völkerungen. Weil nun Philosophasterei und die durch
selbe veranlasste Verwirrung zu den Hauptursachen verdorbener
Weltanschaung gehören, müssen sie bekämpft
werden. Anstatt dessen werden sie gezüchtet und ihre
Promotoren mit allen Ehren überhäuft und allen Gütern
vollgepfropft.
Doch wenden wir uns zur wahren Philosophie! Auch
die beste Weltweisheit deckt sich nicht mit voller Wahrheit
, sondern kommt meist nur der Wahrscheinlichkeit nahe.
An dieser Unvollkommenheit aber sind nicht die Denker
schuld, sondern die Unvollkommenheiten niederer Stufen der
Entwicklung, auf denen die Menschheit gegenwärtig noch
sich befindet. Hält man an dem Glauben fortschreitender
Veredelung fest, so muss man auch annehmen, dass philosophische
Erkenntnis im Laufe der Zeit allmählich der
Wahrheit näher komme; allein, man lasse sich nicht
täuschen durch jene krummen Linien, welche temporären
Rücklauf andeuten, wie derselbe zuweilen durch Krisen und
Ereignisse bedingt wird. Die Philosophen leben unter anderen
Leuten und diese sind keine Philosophen, sondern
Sklaven ihres eigenen Selbst, und günstigem Falles philo-
sophistische Steckenpferd- und Prinzipienreiter, Rechthaber,
Besserwisser, Gernegrosse, Zungen drescher. Solche sogenannte
Gebildete haben den Kopf voll seichter, nichtssagender
Weltlichkeiten und Schnurrpfeifereien; sie beunruhigen
beständig durch ihre alberne Person, ihre ungeregelten
Gedanken und niederen Leidenschaften sowohl
einander, wie die unter ihnen wohnenden Denker, denen
sie übrigens noch das Leben durch brutal-perfide Gesetze
und polizeiwidrig dumme Sitte vergällen. Solches Treiben
stört Weltweisheit und Philosophen und bewirkt jene zeitweiligen
Stockungen und Rückgänge, auf welche oben hingewiesen
wurde. Da jedoch das Heilbestreben der Natur
ununterbrochen sich geltend macht, hören jene Stockungen
früher oder später auf zu bestehen, und Vervollkommnung
der Wesen und ihrer Werke treten wieder zutage, Philosophie
und Philosophen raffen sich auf und weben weiter
am grossen Webstück der Erkenntnis. —
Es schallt des Hauses Glocke; der Bote der Eisenbahn
bringt ein Paket aus Leipzig, aus welchem zwei Werke
herausgenommen werden. Das eine derselben ist drei Bände
umfassend und eine von Arthur Drews eingeleitete, von Otto
Weiss bevorwortete Neuausgabe der Werke von F. W. J.
von Schelling, das andere ein Buch von E.H. Schmitt:
„Kritik der Philosophie vom Standpunkt der intuitiven
Erkenntnis*. Beide Werke erschienen 1907 und 1908 im
Psychische Studien. Dezember 1908* 47
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1908/0734