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730 Psych. Studien. XXXV. Jahrg. 12. Heft: (Dezember 1908.)
sie dagegen zusammen mit dem höchsten Wesen, das als
„Gott" Gegenstand religiöser Verehrung ist. —
Man hat von gegnerischer Seite Indizienbeweise gegen
die Richtigkeit und die Zulässigkeit der Annahme einer in
der Natur waltenden Gottheit oder geistigen Macht zu
sammeln gesucht, auf die im einzelnen einzugehen hier zu
weit führen würde. Aber wenn ich auch keinen einzigen
dieser angeblichen Beweise für richtig halte, so ist ihre
Zahl doch geradezu verschwindend gering gegenüber der
unzählbaren Schar positiver Indizienbeweise, die zu
Gunsten des Waltens und Schaffens einer Gottheit in der
Natur sprechen, unter denen das Prinzip der Entwickelung
der Organismen selbst schon eines der bedeutsamsten ist.
Wenn dem Philosophen die Natur eine Offenbarung
Gottes ist, so gelangt er zu diesem Schlüsse als Künstler
des Gedankens. Wie der Dichter hüllt er erschaute Wahrheit
in ein künstlerisches Kleid. So wenig er Gott selbst
in der Natur begegnet ist, so überzeugt ist er, dass durch
die ganze Natur die Spuren von Gottes Tätigkeit, vom
Wirken einer höheren, d. h. über der Materie und der
Energie stehenden Macht sich hindurchziehen und sieb er-
kennen lassen. Er steht der Natur gegenüber wie einer
Dampfmaschine, einem Telephon usw. In jedem solchen
Apparate kennen wir den Kausalzusammenhang der Teile
und der daran wirksamen Kräfte; wäre nun der Fehl-
schluss nicht geradezu lächerlich, dass, weil wir nur Mechanismen
und Energie wirksam sehen, darum kein Maschinenbauer
und kein Erfinder existieren dürfe? Das aber ist
der Standpunkt des kosmologischen Atheismus. In seiner
derben W eise kritisiert Carlyle jenen Atheismus mit folgenden
Worten: „„Wo ist denn der Platz für einen Schöpfer?"
— „Fort mit dem Unsinn!a — „Lasst uns vorwärtsschreiten
lw — „Alles stammt vom Gorilla ab!a — Der
Narr sagt in seinem Herzen, es ist kein Gott. Vom An-
beginn ist das so gewesen, ist jetzt noch so und wird bis
ans Ende so sein. Der Narr hat's gesagt, niemand anders}
und wie zu allen Zeiten, so in unseren Tagen, mit traurigen
Resultaten." —
Ich habe mich zu häufig dafür ausgesprochen, dass mir
die Natur absolut unverständlich wäre ohne die Annahme
eines sie beherrschenden und in ihr waltenden göttlichen
Meisters, dessen Wirken in der Form der Naturgesetze sich
uns offenbart und vermutlich in anderer Form uns nicht
erkennbar sein würde, als dass ich hier näher darauf einzugehen
brauchte. Ich bin sogar der Meinung, dass von
diesem naturphilosophischen Standpunkte aus eine Revision
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