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46 Psychische Studien. XXXVI. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1909.)
kommen sei. In dieser so verkündeten „ Lehre über den
Jesus* aber war der Begriff der Anastasis sicher vorhanden:
gleichviel ob das Wort gebraucht wurde oder nicht. Denn
diese Schüler des Johannes konnten ebensowenig wie er
selbst predigen, daß das Reich nahe sei und sein König,
der Mächtigere oder Richter alsbald kommen werde, ohne
gleichzeitig zu verkünden, daß Golt ihm dies Reich und
dieses Gericht übergeben, d. h. ihn als König eingesetzt oder
ihn „ erweckt" habe. —
Damit soll nicht gesagt sein, daß der Täufer selbst
„den Einen, der da kommen sollte* schon mit dem „Jesus*
gleichgesetzt habe. Das haben wahrscheinlich erst seine
Nachfolger getan. Denn jene zwölf Jünger von Ephesus
(Akt. 19, 1—7) werden ja erst von Paulus belehrt, daß „der
Eine" eben „der Jesus46 sei (19, 4). Aach die Erzählung
von der angeblichen Anfrage des gefangenen Johannes bei
Jesus selber (Matth. 11, 2—6; Luk. 7, 18—23) deutet offenbar
in dieselbe Richtung. Die aus orthodoxem Gesichtspunkte
ganz unverständlichen Hinweise auf einen Gegensatz
zwischen den Jüngern des Johannes und den Jüngern
des Jesus (Joh. y, 22—23. 4, 1) sind nur so recht zu verstehen
. Und gewisse Stellen, besonders im vierten Evangelium
(3, 30—32. 1, 31) scheinen bestimmt die ursprüngliche
Verschiedenheit beider Lehren und die allmähliche Erhebung
der Jesusidee über die Idee des Einen, der da kommen
soll, anzudeuten. M. a. W. es drängt sich uns die Annahme
auf, daß hier zwei Ströme religiösen Denkens
zusammengeflossen sind: das Evangelium
von dem Einen, der da kommen sollte (d. Ii.
dem Christus) und das Evangelium von dem
Jesus. Jenes scheint fast reiner Judaismus gewesen zu
sein, der von Daniel aus und nur wenig über den geläufigen
apokalyptischen Messianismus hinausging. Die Lehre von
dem Jesus dagegen scheint außerhalb Judaeas in der
Diaspora geboren zu sein, und war zuerst nur halb jüdisch,
halb aber griechisch oder heidnisch (vergl. Matth. 4, 12—
16; Joh. 1, 31. 3, 22).
Jedenfalls bedeutet „Jesus* in den Evangelien selbst
nichts anderes als „der Heiland" (Matth. 1, 23. 21. 25).
Und es ist somit dem Sinne nach verw andt mit dem Namen
„Nazoraeus", der nicht von einer gar nicht nachweisbaren
Stadt Nazareth abgeleitet ist, sondern einfach die griechische
Form des althebräischen Wortes Nösri (syrisch: Nasarya')
ist und nichts anderes als der „Wächter" und „Hüter" bedeutet
(2. Kön. 17, 9. 18, 8; Jer. 31, 6). Beide aber: sowohl
„der Jesus" wie der „Nazoraeus" waren ursprünglich nichts
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