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Literaturbericht
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Es sei mir deshalb gestattet, etwas ausführlicher auf den Inhalt
dieses hochbedeutbamen Werkes einzugehen, wohl des wichtigsten
von allen, die ich bisher an dieser Steile zu besprechen die Ehre
hatte. Nicht seinen Fachgenossen, den Psychiatern, auch nicht den
Philosophen verdankt der Verf. die Notwendigkeit des Erscheinens
einer zweiten Auflage des, wie er selbst sagt, „schwer lesbaren*
Buches, sondern neben wenigen Getreuen weiteren Kreisen von Gebildeten
und Wißbegierigen. Und das ist in der Tat ein gutes
Zeugnis für das Bildungsbedürfnis und den Erkenntnisdrang unsres
Laienpublikums. Als Material zu seiner Arbeit konnte Fr nur seine
eigenen Träume verwenden, da diejenigen seiner Patienten eine
pathologische Beimischung enthielten und Fremde bezüglich des
Fehlens korrekter Unterlagen überhaupt nicht inbetracht kamen.
Die wissenschaftliche Literatur der Traumprobieme beginnt erst mit
Aristoteles, da die Alten vor ihm den Traum bekanntlich nicht für
ein Erzeugnis der eigenen Seele, sondern für eine Eingebung von
göttlicher oder dämonischer Seite hielten, was im vollen Einklang
mit ihrer gesamten Weltauffassung stand, welche als Eealität in die
Außenwelt zu projizieren pflegte, was nur innerhalb des Seelenlebens
Eealität hatte. Was aber der Traum auch bieten mag, er
nimmt das Material dazu aus der Wirklichkeit und aus dem Geistesleben
, welches an dieser Wirklichkeit sich abwickelt. Der ganze
Trauminhalt stammt auf irgendeine Weise vom Erlebten, indes muß
dies nicht immer ein bewußt Erlebtes sein. Eine wichtige Bolle
spielt hierbei das Kindheitsleben. Nichts , was wir geistig einmal
besessen habeo, kann ganz und gar verlöten gehen. Die sog. Traumreize
zerfallen nach ihren Quellen in 1) äußere Sinneserregung, 2)
innere Sinneserregung, 3) inneren Leibreiz, 4) rein psychische Eeiz-
quellen. So lassen sich auch Tränen künstlich durch entsprechende-
Keize hervorrufen, aber die Bedeutung der rein aus dem Seelen
leben stammenden Eeize zur Traumbildung hat man bisher doch
nicht genug gewürdigt. Der Traum arbeitet vorzüglich mit Ge-
slchtsbiidern, weniger mit solchen der andern Sinne. Nur scheinbar
hac der Traum seine eigenen Gesetze; die Assoziationsgesetze, nach
denen sich die Vorstellungen verknüpfen, haben auch für die
Traumbilder ihre Geltung, ja kommen dort sogar reiner und stärker
zum Ausdruck. Daß der Iraum intellektuelle Arbeiten des Tages
aufnehmen und zum Abschluß bringen, Zweifel und Probleme lösen,
Dichter und Komponisten inspirieren könne, hält Fr. für erwiesen;
dagegen steht er der divinatorischen Eigenschaft des Traumes
einigermaßen skeptisch gegenüber. Als „ungewollte Vorstellungen *
dürfen wir das gesamte Vorstellungsmaterial zusammenfassen, dessen
Vorkommen in unmoralischen und absurden Träumen unsre Entrüstung
erregt. Hier handelt es sich um unterdrückte, aber
ursprünglich vorhandene Triebe. Die Traumphantasie liebt das
Symbolisieren. Zwischen Traum und Geisteskrankheiten bt stehen
zahlreiche Beziehungen. — Im zweiten Abschnitt seines Buches, der
die Methode der Traumdeutung behandelt, gibt uns der Verf. die
Analyse eines Traummusters und gibt im dritten den eigentlichen
Schlüssel in den Worten: der Traum ist eine Wunscherfülluntr.
Das vierte Kapitel behandelt die Traumentstellung und das folgende
das Traummaterial und die Traumquellen. In den Vordergrund
treten hier das Eezente und das Indifferente, das Infantile und das
Somatische. Besonderes Interesse erregen die „typischen* Träume.
In dem Abschnitt: nDie Traumarbeit* behandelt Fr. die Verdichtungsarbeit
, die Verschiebungsarbeit, die Darstellungsmittel des
Traumes, die Bücksichten auf Darstellbarkeit, Eechnen und Eeden
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