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310 Psychische Studien. XXXVI. Jahrgang. 5. Heft. (Mai 1909.)
lag also bereits eine Schaffensperiode hinter ihm, in der
auch auch ein Drama entstanden war, daß diesen Namen
führte. Den Meister hatte das Schicksal des glaubensstarken
Töpfers angezogen, der zwar unter dem Schutze des
Hofes der Bartholomäusnacht entgangen, aber doch, schon
am Rande der Achtzig, in die Bastille abgeführt worden
war, wo er trotz der Bekehrungsversuche des Königs seinem
Glauben treu blieb und deshalb den Hungertod sterben
mußte. Aber nicht nur als edler Charakter, sondern auch
als bedeutender Künstler genießt er in Frankreich großes
Ansehen. Er hatte sich trotz beschränkter Schulbildung,
trotz unzähliger Fehlschlage ein Ansehen und eine so
einzigartige Stellung als Kunsttöpfer erworben, daß sein
Name eine Epoche der Geschichte der Majolikatechnik einnimmt
, die weder zu seiner Zeit, noch nach ihm eine Nebenerscheinung
aufweist.
Mit diesem Manne hatte sich also Sardou lange beschäftigt
. Er war bemüht gewesen, in sein Wesen einzudringen
und es so zu erfassen, daß er, ganz identisch mit
ihm, von innen heraus seine Handlungen darzustellen gesucht
hatte. Es ist selbstverständlich, daß er sich mit der
Kunst des Meisters beschäftigte. Er wird im Louvre die
Humpen und Schüsseln wiederhholt betrachtet und sich
über die naturgetreue Wiedergabe der fossilen und der Meertiere
, der Amphibien, Pflanzen und Gesteine gewundert
haben. Er wird ebenfalls ergriffen gewesen sein von der
erstaunlichen Energie und rücksichtslosen Zähigkeit, die dazu
gehört hatte, nicht nur diese Tiere abzuformen, sondern
auch passende Glasur und Farbe zu erfinden, um ein Erzeugnis
zu liefern, das völlig aus dem Rahmen der Zeit fiel
und in der Technik nicht wieder erreicht werden konnte.
Wenn man nun die Zeichnungen Sardou's betrachtet
und darauf ebenfalls Ornamente (wie besonders im Beethovenhaus
) findet, die ihr Linienwerk kriechenden und schwimmenden
Wesen verdanken, so liegt die Erklärung bequem
bereit, daß Sardou's Unterbewußtsein einfach erhaltene Eindrücke
verarbeitet habe. Es erheben sich jedoch gegen
diese Hypothese nicht geringe Bedenken: 1) die Zeichnungen
zeigen kein uns bekanntes organisches Gebilde, es
sind willkürlich aneinander gereihte Zierformen; 2) Palissy's
Kunstweise war höchst naturalistisch; man nimmt an, daß
er über den Tieren direkt abgeformt hat; 3) die Zeichenperiode
Sardou's war nicht in das Belieben Sardou's gestellt
, sondern von seinem Willen unabhängig; als er die
Zeichnungen selbst wiederholen wollte, gelaug ihm nicht
ein Strich; 4) er hatte, wie er selbst angab, den Eindruck,
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