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v. Schnellen: Die Seeleniehre von Eduard v. Hartmann. 587
setzmäßig entspringe. So aber bekommen sie für diesen
einmal schon zwei ganz verschiedene Gesetzlichkeiten, die
sich unabhängig voneinander gleichzeitig entfalten und miteinander
im Kampfe liegen: nämlich die der Wahrnehmungsfolge
und die der Gedankenfolge. Und sodann greifen sie
mit jener doch auch wieder über das Bewußtsein, wo von
ihr nichts zu entdecken ist ? hinaus und sehen sich obendrein
von der Erfahrung durch die sprunghafte Zufälligkeit
und zusammenhangslose Launenhaftigkeit der tatsächlichen
Wahrnehmungsfolge jeden Augenblick widerlegt. Denn die
unter naivrealistischen Voraussetzungen für die Dinge
außerhalb des Bewußtseins vermittelten „ Naturgesetze"
dürfen nicht auf die von einer kritischen Erkenntnislehre
als bloße unbeständige und unwirksame Inhalte des Bewußtseins
erkannten Wahrnehmungsobjekte übertragen
werden. Ebenso wenig wie diese, die ja selbst erst aus
Empfindungen aufgebaut werden, hinterher wieder als deren •
Ursachen, als äußere Reize oder Reizquelle angesehen wrerden
dürfen. Beide Yersuche sind in sich widersinnig! Bei
Beschränkung auf den Inhalt des Bewußtseins ist die gegebene
Aufeinanderfolge der Wahrnehmungen schlechterdings
nicht zu erklären (28—31). Und das Gleiche gilt
von den Dissonanzen und Konsonanzen. Und ebenso von
dem Einfachsehen mit zwei Augen. Auch diese Tatsachen
sind für die reine Bewußtseinsseelenlehre unerklärlich
(32—34).
Das Wollen. — Willkürliche und unwillkürliche
Handlungen gehen überall fließend und ohne angebbare
Grenze ineinander über. Vom Automatismus zum Reflex,
von diesem zur Instinkthandlung, von dieser zur unwillkürlichen
Triebhandlung, von dieser zur schwankenden und
zögernden Willensentscheidung, von dieser zur Willkürhandlung
und von dieser endlich zur bewußten Wahlent-
sehließung führen stetige Vermittlungen. Darum kann
man, wie es in der Metaphysik schon längst geschehen ist,
auch in der Seeleniehre das Wort „Wollen" ruhig als
Gattungsbegriff für alle Arten einer Willenstafc oder Triebbetätigung
gebrauchen, umsomehr, da der Glaube, bei der
willkürlichen Handlung das Wollen als solches selbst im
Bewußtsein zu erfassen, eben doch nur eine naivrealistische
Täuschung ist (34—36).
Wenn wir uns nämlich genau prüfen, so ist das, was
wir beim „bewußten Wollen44 wirklich im Bewußtsein als
dessen Inhalt vorfinden, immer nur folgendes: 1. die Vorstellung
eines bestimmten zu erreichenden Zieles, 2. die
Vorstellung der zur Erreichung des Zweckes dienlichen
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