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Kaindl: Der Äther, das Medium des subliminalen Selbstes. 635
doner Spiritualistischen Vereinigung („London Spiritualist
Allianee") aufbewahrt wird und dessen Züge ich sofort dadurch
erkannte, daß ich sie dort gesehen hatte. Das Angesicht
hatte ein ebenso realistisches und körperhaftes Aussehen
, wie das jeder lebenden Person, und war mitsamt den
Schultern in eine Art von Shawl gehüllt; das Gesicht war
bräunlich von Farbe, mit einem langen, wallenden, schwarzen
Barte versehen, und seine Züge schienen einen etwas
orientalischen Typus zu tragen. Solange als die Erscheinung
verweilte, sah man deutlich, wie sich ihre Lippen bewegten,
und Fragen, welche ihr von den Sitzungsteilnehmern gestellt
wurden, beantwortete sie mit einer tiefen, mächtigen
Stimme. — Ein anderes Antlitz, das ich sah, war das eines
jungen, hübschen Mädchens; es wurde sofort von einer anwesenden
Dame als dasjenige einer ihrigen Schwester erkannt
, die vor etlichen Jahren gestorben war und welche
sie sehr geliebt hatte. Ich hatte das Mädchen im Leben
nie gekannt; als mir aber ihre Photographie nachträglich
gezeigt wurde, bemerkte ich sogleich allerdings eine auf-,
fallende Ähnlichkeit zwischen ihr und dem Phantom, das
sich in der Sitzung dargestellt hatte. Es ereigneten sich
aber auch noch andere Phänomene, wie das Herumfliegen
einer schweren Spieldose in der Luft; und ebenso flog ein
Saiteninstrument herum, das unter dem Namen „ Feenglocken
" („fairybells") bekannt ist und das einigermaßen
einer Äolsharfe gleicht. Während der ganzen Zeit, wo dies
stattfand, wurde auf diesen Instrumenten in einer geradezu
vollendeten Weise Opernmusik zum Vortrage gebracht, die
zu Zeiten sehr sanft, zu anderen aber wieder so laut erklang
, daß es schien, als müßten die Saiten infolge der
Heftigkeit, mit der sie gezupft wurden, abreißen.
Ich teile bloß mit, was ich bei völlig kühlem, ruhigem
und von Vorurteilen freiem Geiste sah und hörte. Wenn
ich von irgend einem Vorurteil voreingenommen war, so
war es sicherlich weit eher ein solches der Hkeptik, als
irgend ein anderes des Glaubens. Trotzdem muß ich gestehen
, daß mir die Erscheinungen, welche sich zeigten, den
Eindruck machten, daß sie keinesfalls das Ei^gebnis irgend
eines gewöhnlichen plumpen Betruges, bezw. Trickes sein
könnten, sondern eigenartigen psychischen Kundgebungen
zugeschrieben werden müßten. —
Bei derartigen Manifestationen fühlt man sich dazu getrieben
, als möglieh anzunehmen, daß das Medium, entweder
aus eigenem Antrieb vermöge einer Autosuggestion oder
vermöge der Herrschaft, welche eine fremde Person über
sein Gehirn ausübt, aus seinen eigenen Elektronen eine
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