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Freudenberg: Eine .Rundschau
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feindlich gegenüber, ein anderer Teil verhält sich indifferent,
was uns nicht wundernehmen darf, wenn wir die Entwicklung
der modernen Wissenschaft ins Auge fyssen, die durch
ihre eigenen Fortschritte auf allen und jedem Gebiete
unwillkürlich immer mehr zur Spezialisierung drängt, somit
den einzelnen Gelehrten in ein gegebenes Fachgebiet zwingt
und ihn darin dermaßen einengt, daß er mit der Zeit für
weitere Interessen abstirbt. Wie sehr dies auch in Hinsicht
auf die Entwicklung der Persönlichkeit zu beklagen
ist, so dient es doch auch andererseits wieder dem Fortschritt
der Wissenschaft im allgemeinen, die bei ihrer
heutigen Kompliziertheit derartiger Einzelarbeit bedarf.
Ein dritter Teil unserer Gelehrten steht der okkultistischen
Bewegung durchaus wohlwollend gegenüber, wie dies aus
gelegentlichen Äußerungen hervorgeht, wenn dieselben auch
gewisse prinzipielle Bedenken nicht verschweigen und es
ihnen überhaupt an der Zeit und wohl auch an der
Neigung fehlt, sich eingehender mit okkultistischen Fragen
zu beschäftigen. Ein vierter Teil aber — und deren Zahl ist
durchaus nicht gering — hat die okkultistische Sache ganz
und gar zu der seinigen gemacht. Es ist wahrhaftig nicht
nötig, Namen von Vertretern dieser Klasse zu nennen, da
solche doch in aller Mund sind. Sind es, was das Ausland
angeht, namentlich Naturforscher, die Zierden der
französischen, englischen «und italienischen Universitäten,
welche sich in intensivster und hingebungsvollster Weise
dem Studium des Mediumismus widmen, so hat Deutschland
namentlich unter den Philosophen Männer wie Dr.
Bormann aufzuweisen, welche den Okkultismus geistig vertiefen
und ihm so das seelische Rückgrat geben, dessen er
ebenso bedarf, wie seiner Rechtfertigung durch das Sinnfällige
. Was soll unter diesen Umständen denn das ewige
Gejammer über die verknöcherte, hochmütige und bösartige
„Schulwissenschafttf, wenn irgend ein Mediziner oder Naturforscher
von mehr oder weniger anerkanntem Rufe durch
einen Angriff auf ein okkultistisches Interesse in einem
Wochenblättchen bei wenig sachverständigen Lesern billige
Lorbeeren gepflückt? Welches Recht haben wir zu solch
einer Verallgemeinerung? In der zeitgenössischen Wissenschaft
als solcher steckt ein derartiges Stück Ernst, Hingabe
, Fleiß und Intelligenz, daß es nur heißen kann: Hut
ab! Gehen auch zur Zeit unsere Wege mit der modernen
Wissenschaft nur erst zum Teil übereinstimmend, so sollte
dies doch keinen von uns verhindern, ihr im allgemeinen
den Respekt zu versagen, den sie verdient. Behandeln wir
die Fehler und Entgleisungen Einzelner stets alo das, was
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