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666 Psych. Studien. XXXVI. Jahrg. 11. Heft. (November 1909.)
fern er gewisse Erscheinungen erklärt. Dann kommt aber
noch hinzu, daß das spiritistische Erklärungsprinzip gar-
nicht so lauter wissenschaftlich ist, wie das atomistische.
Es ist besonders bei ihm die Fiktion zu zerstören, die aus
dem unerlaubten Transszendieren, das heißt demjenigen
Transszendieren, das nicht behufs Erklärung dieser bestimmten
Erscheinungen stattfindet, entsteht. Solange das
noch geschieht, steht der Spiritismus als Wissenschaft da,
wo die Astronomie stand, als sie nocii Astrologie war. —
Ja, es ist mein Bestreben, einen streng wissenschaftlichen
Begriff des Spiritismus aufzustellen. Manche Erdichtung
, mancher schöne Traum wird verschwinden
müssen, an deren Stelle die harte Arbeit des Forschers
und Denkers treten wird. Dann erst, wenn ich den Spiritismus
in den Armen der Wissenschaft weiß, bin ich überzeugt
, daß er geben wird, was er geben kann. Derjenige,
welcher vom Spiritismus eine empirische Lösung des Unsterblichkeits
-Problems erwartet, sollte sich erst durch ein
wenig Philosophie sein aufnehmendes Bewußtsein vertiefen.
Unser Geist ist nicht, wie Locke sich das vorstellte, ein
wTeißes Stück Papier, auf das die Dinge da außen ihre
Charaktere hinschreiben. Der Menschengeist ist nicht ein
sich gleich bleibender Spiegel, in dem die Dinge sich abbilden
, sondern unendlich vieler Grade ist unser aufnehmendes
Bewußtsein fähig, und von diesen hängt die
Qualität unserer Gedanken ebenso ab, wie von den Dingen.
Nur deshalb läßt uns der reine Empirismus auf die Dauer
unbefriedigt, weil er die Hälfte unseres Wesens unbearbeitet
läßt. Der Forscher erweitert die Welt des Erkannten, der
Denker vertieft indessen das Erkennende, durch beider
Hand- in Hand - Arbeiten erlangt die Geisteskultur der
Menschheit die tiefste Förderung.
Sichere Resultate über das Wesen des Spirits aufzustellen
ist mir schon deshalb nicht möglich, weil diesem
Versuch längere wissenschaftliche Forschungen im Spiritismus
vorausgehen müßten, die mit demjenigen Bewußtsein
angestellt worden wären, das hier erst begründet werden
soll. Wir halten uns über diese Betrachtungen länger auf,
als über die Sache selbst, weil jene augenblicklich wichtiger
und näherliegend sind. Wir würden uns selbst widersprechen
, wollten wir etwas Sicheres über das Wesen des
Spirits heute schon ausmachen. Vielmehr ist es zunächst
ein wertvolles Resultat, zu wissen, daß und warum man
das nicht kann. Auch diesen Satz wollen wir tiefer begründen
, um dann, wenn wir hiermit zu Ende gelangt sind, einige
Ausblicke in den zukünftigen wissenschaftlichen Spiritismus
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