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680 Psych. Studien. XXXVI. Jahrg. 11. Heft. (November 1909.)
ein halbes Dutzend „Geistertt ausreichend". Die Sitzungsteilnehmer
waren inzwischen von den durch ein verabredetes
Zeichen herbeigerufenen Hilfsmannschaften der
Polizei in das .Nebenzimmer gedrängt worden, um ihre
Namen und Adressen festzustellen; sie werden als Zeugen
in den bevorstehenden Prozeß wegen gemeinsam verübten
Betrugs geladen werden. Die Wohnung (Bremerstraße 53)
wurde polizeilich abgesperrt. „Das ist also das Ende eines
Schwindels, der über zehn Jahre lang Berlin unterhalten,
amüsiert und geschädigt hat/ so schließt der uns von
spiritistischer Seite zugegangene Zeitungsbericht.*)
*) Dem „Berl. Lok.-Anz.tf Nr. 700/1 vom 18., 19. Okt. entnehmen
wir noch, daß das von dem Ehepaar Abend seit Jahren betriebene
Schwindelgeschäft seit etwa lJ/> Jahren dank den yDummen, die
nicht alle werdentf einen erstaunlichen Aufschwung genommen
hatte. Von mittags an kamen und gingen ununterbrochen die Besucher
; vor der Haustüre löste oft ein Automobil das andere ab.
Die Wände des Empfangssalons waren mit Porträts von Anhängern
geschmückt; die Stuhlreihen reichten bis an die Eingangstüre. Die
„Geisteroffenbarungen* wurden von den Gläubigen „freiwillig11 mit
5, 10, ja 100 M. bezahlt; die meisten der bis jetzt vernommenen
Zeugen wollen jedoch „sich nicht betrogen fühlea*. Unter dem
zwei große Körbe füllenden beschlagnahmten Material der schon
seit 189) bestehenden »Loge zur Himmelspforte* finden sich allerlei
Insignien, Bilder mit Widmungen, Briefschaften, sowie schwarz-
lackieite Blechkästen, aus welchen „Lebenskörner* herausgenommen
und in eine große, mit Sand gefüllte Holzschüssel gelegt wurden,
aus welcher dann jedes Mitglied nach einigem Schütteln seinen Anteil
auf eine vor ihm stehende kleine Molle erhielt; das während
der Verteilung in Trance fallende Medium deutete ihm darnach sein
Schicksal nach Eingebung der »himmlischen Brüder14. Die Quelle der
„himmlischen Offen bar ungen* zeigte ein von der Polizei beschlagnahmtes
Informationsbuch mit kurzen (vom Medium auswendig gelernten
) Aufzeichnungen über bedeutende Persönlichkeiten und Ereignisse
aus dem Konversationslexikon, bezw. Geschichtsbüchern. Herr
Abend verfaßte auch eine in 3000 Stücken zu 4M. ausgegebene „Geisterlehre
*. Auch Blumengrüße und Apfelsinen trafen — mit Vorliebe
aus Italien — ein, deren Herkunft die Polizei durch eine an eine
Deckadresse in der Jonasstraße gesandte Kiste entdeckte. Dann
und wann sandten die „Geister44 auch wertvollere Gaben, so dem
Medium ein goldenes Kreuz, ihrer Schwester Auguste Blasius einen
goldenen King mit dem Bilde Christi, Herrn Abend einen mit Christi
Kreuz geschmückten silbernen King, Herrn Blasius ein goldenes
Logenahzeichen etc. Ein Dr. M. M schildert ebendort den Verlauf
einer Abendgesellschaft in einem hochfeinen Salon in Berlin W. bei
einem pensionierten hohen Offizier unter Anwesenheit eines rumänischen
Fürsten, eines Kommerzienrats mit Gattin, eines Malers und
eines Theosophen, wobei ein von Frau Abend angenommenes Mädchen
die Gäste gleich bei ihrem Eintritt durch die naive Frage:
„Wo ist die kleine Katze ?tt verblüffte. Eine der glühendsten Anhängerinnen
der am 1. Sept. 1868 zu Berlin geborenen Frau Abend,
geb. Blasius war eine der bekanntesten Sängerinnen der dortigen
Hofoper; ihre Kunden trugen vielfach hocharistokratische Namen,
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