http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1909/0718
714 Psych. Studien. XXXVI. Jahrg. 12. Heft. (Dezember 1909.)
hervorlockt, bis es die passende gefunden hat. Ja, auch
auf das Gefühlsleben wirkt das Wollen mittelbar bestimmend
ein. Und selbst ein anderes Wollen kann es
wieder hervorrufen, indem es die Vorstellungen erweckt,
die geeignet sind, es anzuregen (151—153).
So ist in der Tat alle seelische Tätigkeit Wollen:
darin hat der Voluntarismus recht. Freilich nur, wenn
er das Wollen als unbewußtes versteht. Und auch so
ist es noch nicht die ganze Wahrheit. Denn der Begriff
des Wollens allein erschöpft nicht das Wesen der seelischen
Tätigkeit. Es muß zu ihm noch die Bestimmung dessen,
was gewollt wird, hinzukommen. Diese seine inhaltliche
Bestimmtheit aber kann das Wollen nicht, wie Wundt und
seine Schüler glauben, von den bewußten Empfindungen
bekommen, die ja selbst aus dem Widerstreit der einzelnen
Wollungen erst hervorgehen. Es muß sie vielmehr schon
vorher als „unbewußte Vorstellung* in sich tragen, um in
jedem einzelnen Fall in bestimmter Weise (auf das Gehirn
oder sonstwo) wirken zu können. Und so bilden denn
das unbewußte Wollen (als die Tendenz zur Keali-
lisierung eines bestimmten Inhaltes^ und das unbewußte
Vorstellen (als die inhaltliche Bestimmung oder logischideale
Determination dieses Wollens durch ideale Vor wegnähme
seines Zieles) die beiden zwar untrennbar zusammengehörigen
, aber doch begrifflich wohl zu unterscheidenden
Seiten oder Momente der unbewußt seelischen Tätigkeit
(153—156).
Empfindung und Wahrnehmung. — Aller ursprüngliche
Bewußtseinsinhalt, wie er in voller Reinheit
freilich nur auf der untersten Stufe, bei den Uratomen,
anzunehmen ist, ist Gefühl der Lust oder Unlust ohne
jede hinzukommende Qualität. Wenigstens führt uns die
Analyse des Bewußtseinsinhaltes, je weiter wir sie fortsetzen
, zu immer einfacheren Bestandteilen. Und wenn
wir sie bis zu Ende fortgesetzt denken, so behalten wir
nichts als qualitätslose Lust- und Unlustgefühle übrig.
Diese, als elementare Affektionen des Wollens, also sind
das einzige zur Verarbeitung gegebene Material oder das,
was man wohl den „reinen Stoff der Empfindung* nennen
kann; alles übrige ist formierende Zutat, schöpferische
Synthese oder logische Verarbeitung durch vorbewußte
(apriorische) Kategorialfunktion. Das Bewußtsein freilich
weiß selbst nichts von dieser formenden Tätigkeit; es findet
immer nur das fertige Ergebnis in sich vor. A.ber wenn
wir dies Ergebnis (wie z. B. ein räumlich angeschautes
Wahrnehmungsbild) analysieren, so zeigt sich, daß es mehr
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1909/0718