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Freimark: Der Graf von St. Germain, ein Adept. 27
fünfzig und mehr Jahren gekannt zu haben und ihn jetzt
unverändert finde, erklärte er: „Es ist nicht unmöglich; aber
ich gebe zu, daß es noch wahrscheinlicher ist, daß diese
Dame, die ich achte, fabelt. * Auch dem dänischen Gesandten
am französischen Hofe sagte er: „Diese Dummköpfe
von Parisern glauben, daß ich 500 Jahre habe, und
ich bestärke sie in dieser Idee, denn ich sehe, daß ihnen
das viel Vergnügen macht.* Aber sogleich fügte er, wie
um das Vorhergesagte in den etwaigen Folgen für sein
Ansehen abzuschwächen, hinzu: „Nicht, daß ich nicht unendlich
älter bin als ich scheine."
Zu diesem Scheine dürfte ihm, außer seiner wohl von
Natur aus guten Konstitution, viel seine vernünftige Lebensweise
verholfen haben. Er aß, ausgenommen Geflügel, nie
Fleisch, sondern nur Breie, Gemüse und Fische. Auch war
er im Trinken mäßig. Sein gutes Aussehen führte er auf
die von ihm gebrauchten Sennesblätter zurück, die er auch
als Purgiermittel empfahl, wenn man ihn fragte, was man
zu tun nötig habe, um ein langes Leben sich zu sichern.
Er war klug genug, in jener Zeit der mehr und mehr um
sich greifenden materialistischen Denkart weder des Besitzes
des Steins der Weisen sich zu rühmen, noch auf ihm
zu Gebote stehende übernatürliche Kenntnisse hinzuweisen.
Seine Geheimnisse, die £r verschiedenen Regierungen, unter
anderm Friedrich dem Großen, dem Dresdener Hofe,
aber auch dem Rate der Stadt Leipzig zur Verwertung
anbot, betrafen in der Hauptsache chemische Operationen,
z. B. die Kunst, dem Leder brillante Farben zu geben,
Farben zu bereiten, Leinen zu bleichen, Seide zu färben,
und industrielle Unternehmungen. Nebenher übernahm er
politische Geheimmissionen und ging im Auftrage des Marschalls
Belle-Isle, der gegen den Minister von Choiseul intrigierte
, nach dem Haag, um den ihm angeblich bekannten,
sich dort aufhaltenden Herzog Ludwig von Braunschweig
um seine Verwendung für einen Partikularfrieden mit
Preußen anzugehen. Der Zweck dieser Sendung mißglückte
und St. Germain konnte froh sein, daß er nach England
entkam und nicht mit dem Innern der Bastille Bekanntschaft
zu machen brauchte, wie dies Choiseul, der von dem
Plane erfahren, ihm zugedacht hatte. Auch soll er, wie der
Baron von Gleichen in seinen Memoiren berichtet, bei der
russischen Revolution, die Katharina II. auf den Thron
brachte, eine Rolle gespielt haben. Tatsache ist, daß er von
den Orloffs Revenuen bezog. Der letzte seiner Protektoren
war der Prinz Karl von Hessen, den er zur Teilnahme an
der Ausbeutung seiner Geheimnisse vermochte. Jedoch war
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