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84 Psychische Stadien. XXXVII. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1910.)
Nachbarn übernachtete. Mein Vorgänger hat mir gesagt, daß es
während seines 9 jährigen Hierseins fünf Jahre lang ausgesetzt
hätte, dann aber um so heftiger wieder angegangen sei.* —
Auf die Einladung des Pfarrers hin fuhr ich anfangs
August nach W. und fand dort den Pfarrhof ganz einsam
gelegen (nur zwei Bauernhäuser in der Nähe) auf einer
Hochebene zwischen Wald und Wiesen. Das untere Stockwerk
zeigt überall Kreuzgewölbe, im oberen befindet sich
eine Hauskapelle. Im Gang hängen die Porträts von
Augustinerprioren des benachbarten Stiftes. Hier erfuhr
ich nun vom Pfarrer, in dem ich eine sehr nüchterne Natur
kennen lernte, daß er selbst längere Zeit hindurch jede
Nacht um 12 Uhr durch ein sehr lautes, starkes Pochen,
das zuweilen fast eine Stunde andauerte, geweckt wurde.
Einmal suchte er in dem betreffenden Zimmer bis Mitternacht
aufzubleiben, schlief aber schließlich doch über der
Lektüre ein und wurde richtig wieder um 12 Uhr geweckt.
Er hatte schon im Sinne, sein Schlafzimmer zu verlegen,
als das Klopfen aufhörte. Natürlich suchte ich vor allem
in der Kepositur nach jenem Aktenstück, konnte es aber
leider nicht auffinden. Ich vernahm, daß vor Aufzug des
jetzigen Pfarrers der Pfarrverweser die ganze Repositur
anders geordnet habe. Sollte sich der betreffende Faszikel
noch finden, so werde ich den Lesern der „Psych. Stud.^
von seinem Inhalt Mitteilung machen. —
IL*)
Es ist mir gelungen, Herrn Pfarrer und Distriktsschulinspektor
L. und dessen Schwester selbst über ihre Erlebnisse
im Pfarrhause zu W. zu sprechen. Bevor der Herr
die neue Pfarrei antrat, war er sowohl vom Generalvikar
in München, wie von befreundeten Konfratres darauf aufmerksam
gemacht worden, daß die Vorgänger im Amte
durch mystische Vorkommnisse stark beunruhigt worden
seien; aber Pfarrer L., ein unerschrockener, in der Vollkraft
der Jahre stehender Mann, kümmerte sich nichts um
diese Warnungen. Es fiel ihm nach seinem Einzug freilich
ein Klopfen auf, das öfters im Schlafzimmer gehört wurde,
aber er suchte die Ursache zu eruieren und fand auch
schließlich, daß das Geräusch von der schlecht schließenden
Türe ausgehe. Triumphierend berichtete er noch an
demselben Tage an das Münchener Ordinariat, der „Geist"
sei entdeckt. „Aber in derselben Nacht, so erzählte mir
Pfarrer L., kam der Geist wirklich." Es sei ihm gewesen,
*) Der unter Nr. II folgende Bericht wurde einige Wochen
nach dem ersten der Redaktion eingesendet. — Eed.
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