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44 Psychische Studien. XXXVII. Jahrg. 1. Heft. (Jannar 1910.)
werden durch die Furchtgefühle, welche die Anwesenheit
an dunkeln Orten auszulösen pflegt. Dazu wurden Höhlen,
Grotten, später Katakomben und Tempel zweckmäßig gewählt
. Noch ein weiterer Vorteil war an die Dunkelheit
geknüpft: sie regte die Phantasie an, machte wegen
Mangels an Sinneseindrücken vielleicht auch die zum Aufbau
des Phänomens erforderlichen unbewußten Kräfte disponibel
. War im Gegenteil die Versammlung zerstreut,
unaufmerksam, lärmend, dann wurden diese Kräfte nicht
ausgelöst und die Bildung des Phantoms mißlang; das war
ein wirksames Mittel, einer Übersättigung vorzubeugen,
welche mit Gleichgiltigkeit geendet hätte. Die Phänomene
unterblieben also so lange, bis sich wieder psychisches
Hungergefühl in erneuerter Aufmerksamkeit usw. zeigte.
Aus dem nämlichen Grunde lag auch in der Isolierung des
Zauberers ein Vorteil: er sollte sich den Blicken der Neugierigen
nicht zu lange aussetzen, damit sie sich nicht an
ihn gewöhnten. Darum zog er sich wohl in den Hintergrund
zurück, ins Heiligtum und ins Allerheiligste. Es ist
selbstverständlich, daß alle diese Bedingungen nicht täglich
gegeben waren und daß Zauber und Phantome ein relativ
seltenes Phänomen waren.
Die Wichtigkeit der Zauberei bei den Naturvölkern
der Vorzeit kann gar nicht hoch genug veranschlagt werden.
Am Stabe des Zauberers rankten sich die ersten Blüten der
Zivilisation empor. Der Zauberer erweckte eine heilsame
Furcht vor einem mächtigen, schrecklichen Gotte, zwang
die Eoheit des Wilden und die Unbeständigkeit des Naturkindes
unter den Willen eines Einzigen, dem mit Keule
und Speer nicht beizukommen war. Er beackerte den
Boden für den kommenden Gesetzgeber.
Für die große Bedeutung des Phantoms alter Zivilisation
gibt uns auch die Kinderstube eine Stütze. Die unbegreifliche
Gespensterfurcht der Kinder wird nur als Erbteil
verflossener Jahrtausende verständlich. Auch die
Einrichtung der Zauberei in manchen Stämmen ist ein Beweis
dafür. Die Zauberei war sogar unter den Ureinwohnern
Amerikas eine allgemeine Erscheinung. Da sich diese nun
bereits in entlegener Vorzeit von den Arölkern der alten
Welt abgetrennt haben müssen, so reicht der Ursprung der
mystischen Fähigkeiten bis in das fernste Altertum zurück.
Nunez de Bascuöan, ein spanischer Hauptmann, wurde im
17. Jahrhundert von dem Stamme der Araucaner gefangen
genommen und beschreibt seinen zweijährigen Aufenthalt in
seinem Buche „Mi feliz eautiverio". Darin findet sich die
genaue Beschreibung der Handlungen eines Medizinmannes,
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