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54 Psychische Studien. XXXVII. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1910)
zu größeren und komplizierteren Bewegungsexkursionen zu
veranlassen und aus denselben dann sich weitere Hilfe zu
entnehmen. (An ein interessantes Kapitel aus der Blinden-
Psychologie, den „Fernsinn" der Blinden, kann hier nur im
Vorbeigehen erinnert werden.)
Inwieweit da und dort auch das Auge (durch Beobachtung
der Versuchsperson und der Umgebung) beteiligt
ist, möchten wir nicht entscheiden, aber darauf hinweisen,
daß der Fixationspunkt des äußeren Auges und der der
Aufmerksamkeit („äußerer und innerer Blickpunkt") keineswegs
zusammenzufallen brauchen: wenn ich einen Punkt
mit dem Auge fixiere, so wird er ja in der Kegel klar und
deutlich gesehen, seine Umgebung dagegen unklar und undeutlich
; aber das ist nicht bloß eine Wirkung der physiologischen
Bedingungen meines Auges, sondern auch der
psychischen Wirkung des Aufmerksamkeitsvorgangs; ich
fixiere eben in der ßesrel mit meinem äußeren Auge das-
jenige, was meine Aufmerksamkeit erregt. Nun Änn es
aber vorkommen, daß ich Grund habe, das Ziel meiner Aufmerksamkeit
vor anderen zu verbergen, aber doch möglichst
viel von ihm zu erfahren: in diesem Falle stelle ich
mein Auge auf einen anderen, gleichgiltigen Punkt, meine
Aufmerksamkeit dagegen auf den mich interessierenden Punkt
ein und verbessere durch diese psychische Mithilfe die sonst
ungenügende physiologische Leistung. Auch bei dieser Mithilfe
— wenn sie von Herrn B. wirklich herangezogen wird
— würde es sich um eine virtuose Leistung handeln, wie jeder
konstatieren kann, der einmal diese Dissoziation von äußerem
und innerem Blickpunkt an sich selbst versucht.
Die Vorführungen des Herrn B. dienen nicht der oberflächlichen
Unterhaltung, sondern regen zu ernstem Nachdenken
an und stehen hoch über den „ spiritistischenu und
ähnlichen Vorführungen, die wir hier schon erleben mußten
und auf die wissenschaftlich einzugehen sich nicht verlohnt.
Aber neue Offenbarungen, die mit den bisher angenommenen
Gesetzen unserer psychophysischen Organisation in
Widerspruch ständen, bringen sie sicherlich nicht. [?] Wir
werden, wie der Altmeister der wissenschaftlichen Psychologie
, Wundt, einmal gesagt hat, nicht zu der Annahme
zweier völlig verschiedener Welten genötigt, der Welt eines
Kopernikus, Galilei, Newton und Kant, und daneben dann
noch einer kleineren Welt der Klopfgeister und magnetischen
Medien. Dieses Wort, das sich gegen die besonders
in den 80er und 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts sich breit
machenden okkultistischen Experimente richtete, besteht auch
gegenüber den tüchtigen Leistungen des Herrn B. zu Recht."
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